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Beiträge und Entscheidungen/ Amtshaftungsrecht

Dimensionierung einer Regenwasserkanalisation

Das OVG Lüneburg hat in seinem Beschuß vom 04.01.2011 (Az.: 9 LA 130/101) bekräftigt, dass die Regenwasserkanalisation nicht so ausgestaltet sein muss, dass sie auch bei Extremniederschlägen Schutz vor Überschwemmung bietet. Außerdem dürfen bei der Ausgestaltung der Regenwasserkanalisation Maßnahmen, die Grundstückseigentümer zur Sicherung vor Überschwemmungen getroffen haben, berücksichtigt werden. Schließlich könne ein Abwehranspruch gegen Überschwemmungen bei ungünstigen topographischen Gegebenheiten des Anliegergrundstücks sogar ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Ein ungünstiges Höhenniveau des Anliegergrundstücks müsse von der Gemeinde bei der Anlegung der Kanalisation nur eingeschränkt berücksichtigt werden.


Ansprechpartner: Dr. Georg Krafft, Partner

Der Kläger begehrte vor dem Verwaltungsgericht die Verpflichtung der beklagten Kommune, bestimmte Maßnahmen an der Regenwasserkanalisation zum Schutz vor Überschwemmungen vorzunehmen. Er hatte auf eigene Kosten Schutzvorkehrungen gegen Überschwemmungen (Bau einer Mauer, Änderung der Regenwasserabführung auf seinem Grundstück) getroffen, wollte jedoch weitergehende Maßnahmen, um das noch verbleibende Risiko auszuschließen. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Der Kläger hatte mit seinem Antrag, die Berufung zuzulassen vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
... der Kl. (wendet sich) gegen die Annahme des VG, der Kl. könne angesichts des Umstands, dass er „durch die ihm obliegende Eigensicherung bereits ausreichende Vorsorge gegen Regenwasserüberflutungen getroffen“ habe, von der Bekl. nicht Maßnahmen verlangen, die nicht mehr erforderlich seien. Das Vorbringen vermag ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht hervorzurufen. Der Senat teilt die vom Kl. angegriffene Annahme des VG, dass bei den Anforderungen an die Ausgestaltung der Kanalisation auch Maßnahmen zu berücksichtigen seien, die Grundstückseigentümer zur Sicherung ihrer Grundstücke vorgenommen hätten, aus folgenden Gründen:
Die vorliegende Klage ist auf eine Verurteilung der Bekl. zur Durchführung bestimmter Maßnahmen an der Regenwasserkanalisation gerichtet. Ob ein dahingehender Anspruch besteht, beurteilt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Maßgeblich ist also die Situation und Gefährdungslage der Anliegergrundstücke zu diesem Zeitpunkt, ohne dass es darauf ankommt, auf welche Erwägungen des Grundstückseigentümers etwaige Vorrichtungen gegen Überflutung zurückzuführen sind. Angesichts des Umstands, dass gemeindlicher Aufwand nur für erforderliche Maßnahmen betrieben werden darf, muss die Gemeinde die Grundstücksverhältnisse so berücksichtigen, wie sie sich im Zeitpunkt der Planung ihrer Regenwasserkanalisation wahrscheinlich auf Dauer darstellen. Demzufolge ist im Rahmen der hier zu beurteilenden Leistungsklage erheblich, dass eine Überflutung des Grundstücks des Kl. auf Grund der von ihm durchgeführten Maßnahmen zur Eigensicherung (Bau einer Mauer, Änderung der Regenwasserabführung auf seinem Grundstück) nur noch in Extremfällen droht. Diese noch übriggebliebene Gefahr reicht aus den noch darzulegenden Gründen aber nicht aus, um die Bekl. antragsgemäß zur Durchführung von Maßnahmen an ihrer Regenwasserkanalisation zu verurteilen.
Die Berufung kann auch nicht nach § 124 II Nr. 3 VwGO wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen werden.
Der Kl. hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob und nach welcher rechtlichen Grundlage gegenüber der Gemeinde ein Anspruch auf ordnungsgemäße Herstellung des Regenwasserkanals besteht und ob die Pflicht zur ordnungsgemäßen Herstellung entfällt, wenn der Grundstückseigentümer selbst Maßnahmen durchgeführt hat, die eine Überflutung seines Grundstücks verhindern sollen.
Diese Fragen lassen sich auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantworten, und zwar im Sinne der obigen Ausführungen zur Berücksichtigungsfähigkeit von Eigensicherungsmaßnahmen des Grundstückseigentümers sowie im Sinne der Darlegungen des VG. Dieses hat einen Abwehranspruch des Kl. aus den §§ 906, 1004 BGB zu Recht mit der Begründung verneint, für die Extremfälle, in denen es lediglich zu einem Wassereinbruch auf dem Grundstück des Kl. kommen könne, müsse die Bekl. keine Vorsorge treffen. Zum Inhalt einer ordnungsgemäßen Herstellung hat das VG ausgeführt:
Die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit einer Regenwasserkanalisation können nicht schematisch festgelegt werden. Es gibt zwar technische Regelwerke für die Ausgestaltung und Leistungsfähigkeit von Regenwasserkanalisationen in DIN-EN 752 und in dem Arbeitsblatt A 118 des ATV-DVWK. Wie der Gutachter Dr. C auf S. 26 seines Gutachtens ausführt, sind sie hier aber nicht anzuwenden, weil diese Regelwerke erst nach Herstellung der Entwässerungsanlage in der B.-Straße herausgegeben worden sind. Deshalb ist hier nicht zu entscheiden, ob Änderungsansprüche schon dann ausgeschlossen sind, wenn die Anlage die Vorgaben der ATV Arbeitsblätter einhalten, weil damit den Regeln der Technik entsprochen werde (OVG Koblenz, Urt. v. 5. 12. 2002 – 1 A 10202/02).
Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen muss eine Regenwasserkanalisation so ausgelegt werden, dass es nicht jährlich zu Überflutungen und Rückstau auf Grundstücken kommt. Eine gemeindliche Regenwasserkanalisation ist unzureichend und bietet nicht den erforderlichen Schutz der Anlieger, wenn mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss, jährlich einmal einer Überschwemmung ausgesetzt zu werden. Die Leistungsfähigkeit der Kanalisation muss auf Grund einer umfassenden Würdigung aller maßgeblichen abwasserwirtschaftlichen, technischen und topographischen Gelegenheiten ermittelt werden und kann sich nicht auf den „Berechnungsregen“ beschränken. Der ist zwar ein wesentliches Kriterium für die Dimensionierung der Kanalisation, kann jedoch nicht das einzige sein. Vielmehr sind zusätzlich auch die Geländeverhältnisse und die möglichen Fließwege bei Austritt aus den Einläufen zu beachten. Aus Sicht des betroffenen Grundstückseigentümers, auf dessen Schutz die Anlage auch ausgelegt sein muss, ist die „Überstauungshäufigkeit“, also der Anstieg des Wasserspiegels bis auf Geländehöhe, als Maßstab für die Auslegung und die Leistungsfähigkeit der Kanalisation geeigneter als die Regenhäufigkeit. Eine allein auf den „Berechnungsregen“ abgestellte Beurteilung ist insbesondere dann nicht ausreichend, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine darauf zugeschnittene Anlage außer Stande ist, das anfallende Regenwasser nicht nur in seltenen Ausnahmefällen, sondern darüber hinaus auch bei häufigen, auch im Rahmen einer generalisierten Betrachtungsweise zu berücksichtigenden Anlässen zu bewältigen. Das kann etwa der Fall sein, wenn es in dem betroffenen Straßenzug trotz einer Auslegung der Kanalisation auf den Berechnungsregen immer wieder zu Überschwemmungen kommt (BGH, NJW 1998, 1307). Ein Abwehranspruch gegen Überschwemmungen kann aber bei ungünstigen topographischen Gegebenheiten des Anliegergrundstücks ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Ein ungünstiges Höhenniveau des Anliegergrundstücks muss von der Gemeinde bei der Anlegung der Kanalisation nur eingeschränkt berücksichtigt werden (OLG Brandenburg, Urt. v. 6. 5. 2008 – 2 U 20/02, BeckRS 2008, 10270).
Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich der Senat im vollen Umfang an. Ergänzend merkt er an: Abwasserkanäle müssen nicht so ausgelegt sein, dass es auch „bei einem ganz ungewöhnlichen und seltenen Starkregen“, also in Extremfällen, nicht zu einem Rückstau kommt (ähnl. BGHZ159, 19 = NVwZ 2005, 358 = NJW 2005, 1185 L für das Fehlen einer Amtspflichtverletzung bei einem Jahrhundertregen; s. dazu auch Senat, Beschl. v. 23. 6. 2010 – 9 LA 51/09, BeckRS 2011, 49035). Die Kanäle müssen aber so beschaffen sein, dass die Anlieger und Nutzer im Rahmen des Zumutbaren vor Überschwemmungsschäden geschützt sind. Der Schutz ist nicht hinreichend gewährleistet, wenn die Anlieger es hinnehmen müssen, einmal jährlich einer Überschwemmung ausgesetzt zu sein (BGHZ140, 380 = NVwZ 1999, 689 = NJW 1999, 2275 L = DVBl 1999, 609; s. auch Rosenzweig/Freese, NdsKAG, Stand: Aug. 2010, § 5 Rdnr. 188) ...


Fundstelle: NJW 2011, 1159 ff. = BeckRS 2011, 45261