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Beiträge und Entscheidungen/ Amtshaftungsrecht

Beweislastumkehr bei grob fahrlässiger Aufsichtspflichtverletzung im Schwimmbadbetrieb (BGH, Urteil v. 23.11.2017)

Die zur Badeaufsicht in einem Schwimmbad eingesetzten Personen sind verpflichtet, den Badebetrieb und damit auch das Geschehen im Wasser zu beobachten und regelmäßig daraufhin zu prüfen, ob Gefahrensituationen für die Badegäste auftreten. Dabei ist ihr Standort so zu wählen, dass der gesamte Schwimm-und Sprungbereich überwacht und auch in das Wasser hineingeblickt werden kann. Für eine rasche und wirksame Hilfeleistung ist zu sorgen.

Wer eine besondere (Berufs-) Pflicht hat, andere vor Gefahren für Leben oder Gesundheit zu bewahren und diese grob vernachlässigt, muss die Nichtursächlichkeit festgestellter Fehler, die allgemein als geeignet anzusehen sind, einen Schaden nach Art des eingetretenen herbeizuführen, beweisen. Dies gilt auch im Falle einer grob fahrlässigen Verletzung der Verpflichtung zur Überwachung eines Schwimmbadbetriebs.

Die Klägerin macht Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche nach einem Badeunfall geltend. Die beklagte Gemeinde betreibt einen künstlich angelegten Badesee als öffentliche Einrichtung. Die damals zwölfjährige Klägerin verfing sich beim Baden aus ungeklärten Umständen mit einem Arm in der Befestigung einer Boje, die hierdurch zumindest teilweise unter die Wasseroberfläche gezogen wurde. Die Badeaufsicht bemerkte die abgesenkte Boje und sprach zunächst zwei in der Nähe befindliche Besucher hierauf an, da es wiederholt vorgekommen war, dass Kinder und Jugendliche einzelne Bojen unter Wasser gezogen hatten. Sodann bat die Beklagte einen ihr bekannten Jungen, nach der Boje zu schauen. Dieser unternahm einen Tauchgang und bemerkte etwas „Glitschiges“. Eine weitere (beklagte) Badeaufsicht holte sich hiernach seine Schwimmbrille aus dem Gerätehaus, begab sich sodann in das Wasser, überprüfte die Boje und fand die leblose Klägerin unter Wasser vor. Er befreite sie aus dem Seil, verbrachte sie an Land und reanimierte sie. Aufgrund des Sauerstoffentzugs erlitt die Klägerin massive, irreparable Hirnschädigungen. Sie ist infolgedessen schwerstbehindert und pflegebedürftig.

Der BGH geht in seiner Entscheidung unter Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz davon aus, dass ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte nicht auszuschließen sei. Richtig sei zwar, dass die Ursächlichkeit der der Badeaufsicht vorgeworfenen Versäumnisse für die bei der Klägerin eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen nur bestehe, wenn diese bei pflichtgemäßer Erfüllung der Aufsichts-und Rettungspflichten vermieden worden wären. Das Berufungsgericht wird jedoch vor dem Hintergrund des Vortrags der Klägerin, die Hirnschädigungen seien frühestens nach 3 Minuten aufgetreten, Feststellungen dazu zu treffen haben, ob das Absinken der Boje innerhalb kürzerer Zeit hätte bemerkt werden müssen. Außerdem hätte die Badeaufsicht, nachdem die Auffälligkeiten der Boje bemerkt worden waren, sich selbst unverzüglich ins Wasser begeben müssen. Dementsprechend wird das Berufungsgericht auch Feststellungen dazu zu treffen haben, wie lange es gedauert hätte, wenn sich die Badeaufsicht sofort zur Unfallstelle begeben und die Klägerin gerettet hätte.

Zudem sei - soweit der Kausalitätsnachweis auf Grundlage der weiteren Feststellungen nicht gelänge - zugunsten der Klägerin das Eingreifen einer Beweislastumkehr zu prüfen. Unter Bezugnahme auf den im Arzthaftungsrecht geltenden Grundsatz, dass ein grober Behandlungsfehler regelmäßig zur Umkehr der objektiven Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen dem Fehler und dem Gesundheitsschaden führt, ist der BGH der Auffassung, dass dies wegen der Vergleichbarkeit der Interessenlage auch bei grober Verletzung sonstiger Berufs- oder Organisationspflichten gelte, sofern diese, ähnlich wie beim Arztberuf, dem Schutz von Leben und Gesundheit anderer dienen. Dies treffe auch auf die von den Beklagten wahrgenommen Badeaufsicht zu. Die Verletzung der Kernpflichten der Aufsicht (Schutz des Lebens und der Gesundheit der Badegäste) ist - nicht anders als bei ärztlichen Pflichtverstößen - dazu geeignet, aufgrund der im Nachhinein nicht mehr exakt rekonstruierbaren Vorgänge im menschlichen Organismus erhebliche Aufklärungserschwernisse in das Geschehen hineinzutragen. Es entspreche deshalb der Billigkeit, für den Fall einer groben Pflichtverletzung dem Geschädigten die regelmäßige Beweislastverteilung nicht mehr zuzumuten. Die Frage, ob die Beklagten die ihnen obliegenden Pflichten grob vernachlässigt haben, unterliege der tatrichterlichen Würdigung durch das Berufungsgericht, wobei die bisher dazu vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen nicht die gebotene Auseinandersetzung mit den besonderen Umständen des Einzelfalles enthielten.

Im Übrigen könne sich die Beklagte nicht erfolgreich auf die in der Bade- und Benutzungsordnung vorgenommene Beschränkung der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit berufen. Soweit Amtshaftungsrecht anwendbar wäre, komme ein Ausschluss oder eine Beschränkung der Amtshaftung nur aufgrund einer besonderen gesetzlichen Grundlage in Betracht. Auch eine Haftung nach §§ 823, 831 BGB könne durch die Bade- und Benutzungsordnung nicht beschränkt werden, weil die darin enthaltenen Regelungen ausschließlich das zwischen der Gemeinde und den Badegästen zustande kommende öffentlich-rechtliche Benutzungsverhältnis gestalten. Rechtsfolgen für eine allgemeine deliktische Haftung, könnten sich hieraus nicht ergeben. Soweit man die Bade- und Benutzungsordnung als AGB ansieht, scheitere deren Wirksamkeit jedenfalls daran, dass eine Kardinalpflicht zum Schutz von Leben und Gesundheit in Rede stehe.

 

Ansprechpartner: Nicole Tassarek-Schröder

Fundstelle: BGH v. 23.11.2017 - III ZR 6016 = VersR 2018, 614 ff.