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Beiträge und Entscheidungen/ Amtshaftungsrecht

Amtshaftung - Verhältnis von § 839 BGB zu §§ 823 ff. BGB und § 839a BGB (OLG Koblenz, Urteil vom 18.03.2016)

§ 839 BGB verdrängt als vorrangige Spezialregelung konkurrierende Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB und aus § 839 a BGB.

Eine vom Kreisjugendamt beauftragte medizinische Gutachterin war infolge grober Fahrlässigkeit von einer Kindesmisshandlung ausgegangen, woraufhin das Kind in einer Bereitschaftspflege untergebracht wurde. Die Gutachterin wurde daraufhin von den Klägern persönlich auf Zahlung eines Schmerzensgeldes aus § 839 a BGB in Anspruch genommen.

Das OLG Koblenz stellte in seiner Entscheidung klar, dass § 839 a BGB im Rahmen der Beauftragung eines Gutachters durch die Staatsanwaltschaft und auch durch das Jugendamt, soweit es das staatliche Wächteramt ausübt bzw. die Gefahrenlage für das Kindeswohl als Grundlage einer nachfolgenden gerichtlichen Entscheidung einzuschätzen hat, zwar grundsätzlich analog anwendbar sei.

Jedoch sei eine persönliche Inanspruchnahme der Beklagten ausgeschlossen und diese damit nicht passiv legitimiert, da sie in Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt habe und daher eine befreiende Haftungsübernahme durch den Träger des Jugendamtes eingetreten sei (Art. 34 S. 1 GG). In seinem Anwendungsbereich verdränge § 839 BGB (i.V.m. Art. 34 GG) als vorrangige Spezialregelung konkurrierende Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB und auch aus § 839 a BGB.

Ob sich das Handeln einer Person als Ausübung eines öffentlichen Amts darstellt, bestimmt sich danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Betreffende tätig wird, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und ob zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Dabei ist nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, das heißt auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall auszuübende Tätigkeit dient, abzustellen. Es genügt insoweit, dass seine Prüfung geradezu einen Bestandteil der von der Behörde ausgeübten und sich in ihrer Verwaltungstätigkeit niederschlagenden hoheitlichen Tätigkeit bildet. Des Weiteren kann der Prüfer (Sachverständige) als Beamter im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen sein, wenn er von einem Hoheitsträger im Einzelfall mit der Beschaffung wesentlicher Entscheidungsgrundlagen und insoweit mit einem in die Zuständigkeit des Hoheitsträgers selbst fallenden Teil einer öffentlichen Aufgabe betraut wird, wobei der gesamte Tätigkeitsbereich, der sich auf die Erfüllung einer bestimmten hoheitlichen Aufgabe bezieht, als Einheit beurteilt werden muss (vgl. BGHZ 200, , 253 = NJW 2014, 1665, Rz. 31).

In Anwendung dieser Grundsätze hat das OLG Koblenz festgestellt, dass die Beklagte in Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt habe, da das Jugendamt im Rahmen des ihm aufgegebenen Schutzauftrages das Risiko einer Gefährdung des Kindeswohls im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte einzuschätzen (§ 8a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII) und unter Zeitdruck eine regelmäßig komplexe und folgenreiche Entscheidung von weitreichender Bedeutung zu treffen hatte; hierzu dürfen neben eigenem Fachpersonal auch externe Fachkräfte mit beratendem Status hinzugezogen werden. Die Beklagte wurde gerade nicht als (selbstständige) Sachverständige im Rahmen eines (sozialrechtlichen) Verwaltungsverfahrens berufen. Die vom (externen) Rechtsmediziner angeforderte gutachterliche Einschätzung diene unmittelbar der Schaffung wesentlicher bzw. tragender Entscheidungsgrundlagen zur Ausübung des dem Jugendamt überantworteten staatlichen Wächteramts und sei mithin besonders eng mit dem hoheitlichen Handeln der Behörde verbunden. Die Umstände der Vergütung des Sachverständigen seien dabei ohne Belang (BGH NJW 2014, 1665, Rz. 37). Soweit der BGH im Einzelfall beim Tätigwerden von Sachverständigen im behördlichen Aufgabenkreis eine Haftungsbefreiung abgelehnt habe (BGH NJW 2006, 1121; NJW-RR 2009, 1398), seien diese gerade nicht als Zuarbeiter im Bereich der staatlichen Gefahrenabwehr oder der ordnungsbehördlichen Überwachung eingesetzt gewesen.

Ansprechpartner: Nicole Tassarek-Schröder

Fundstelle: OLG Koblenz v. 18.03.2016 - 1 U 832/15 = BeckRS 2016, 05269