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Beiträge und Entscheidungen/ Amtshaftungsrecht

Zur Haftung der Kommune für normatives Unrecht (LG München II v. 01.06.2018) 

Die 11. Kammer des Landgericht München II hat sich in ihrem Urteil vom 01.06.2018 ausführlich mit der Haftung von Kommunen für normatives Unrecht beschäftigt.

Zum Sachverhalt:

Die Parteien streiten um Amtshaftungsansprüche wegen Ablehnung eines Bauantrages der Klägerin. Die Klägerin ist ein Unternehmen, welches gewerblich und entgeltlich Werbeflächen für sogenannten Plakatanschlag auf Werbeträgern zur Verfügung stellt. Die Klägerin beantragte bei der Beklagten die Erteilung der Genehmigung zur Errichtung einer Plakatwerbetafel für wechselnde Produktwerbung.

Die Beklagte beschloss daraufhin den Erlass einer Satzung über besondere Anforderungen an Werbeanlagen (im Folgenden: Werbeanlagensatzung) und legte anschließend den Bauantrag der Klägerin dem Landratsamt mit einer negativen Einvernehmensentscheidung zur Verbescheidung vor. Das Landratsamt lehnte daraufhin den Bauantrag unter Berufung auf die von der Beklagten erlassene Werbeanlagensatzung sowie das verweigerte gemeindliche Einvernehmen ab.

Dagegen erhob die Klägerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München. Dieses verpflichtete den Freistaat Bayern zur Erteilung der beantragten Baugenehmigung, da eine Regelung der Werbeanlagensatzung unwirksam sei, sodass das klägerische Vorhaben mit den bauplanungsrechtlichen Vorgaben des Art. 59 S. 1 Nr. 1 Var. 1 BayBO i.V.m. §§ 29 ff. BauGB im Einklang stehe.

Die Klägerin begeht nunmehr von der beklagten Gemeinde Schadensersatz und trägt hierzu vor, dass die Beklagte die Werbeanlagensatzung einzig und allein im Hinblick auf den von der Klägerin gestellten Bauantrag gefasst habe. Es liege folglich eine reine Verhinderungsplanung vor. Zudem meinte die Klägerin, dass die beklagte Kommune amtspflichtwidrig und schuldhaft die Erteilung ihres gemeindlichen Einvernehmens zum Bauvorhaben der Klägerin versagt habe.

 

Die Entscheidung des Landgerichts München II:

1.

Das Landgericht München II kam zu dem Urteil, dass die Gemeinde durch Erlass der unwirksamen Werbeanlagensatzung keine der Klägerin gegenüber gerichtete Amtspflichtverletzung begangen habe, da es an der Drittgerichtetheit der Amtspflicht fehlen würde.

Der BGH hat bislang stets eine Haftung für legislatives und weitestgehend auch für normatives Unrecht mangels Drittbezogenheit abgelehnt (vgl. BGH, Urt. v. 16.04.2015 - III ZR 204/1332, Rz. 32 m.w.N.). Legislatives Unrecht betrifft verfassungswidrige förmliche Gesetze des Parlaments. Bei untergesetzlichen Normen, wie Rechtsverordnungen, Satzungen und Verwaltungsvorschriften, die gegen höherrangiges Recht verstoßen, spricht man von normativem Unrecht.

Amtspflichten der öffentlichen Amtsträger dienen danach in erster Linie dem Interesse der Allgemeinheit an einem geordneten Gemeinwesen. Soweit sich die Amtspflichten darin erschöpfen, diesem Allgemeininteresse zu dienen, und noch keine besonderen Beziehungen zwischen diesen Amtspflichten und bestimmten Personen oder Personengruppen bestehen, kommen bei Verletzung solcher Amtspflichten Schadensersatzansprüche für außenstehende Dritte nicht in Betracht. Um derartige Amtspflichten handelt es sich im Allgemeinen bei den Pflichten, die für die dafür Verantwortlichen im Rahmen der Gesetzgebungsaufgaben bestehen. Gesetze und Verordnungen enthalten durchweg generelle und abstrakte Regeln, und dementsprechend nimmt der Gesetzgeber – bei Tätigwerden und Untätigbleiben – i.d.R. ausschließlich Aufgaben gegenüber der Allgemeinheit wahr, denen die Richtung auf bestimmte Personen oder Personenkreise fehlt.

Nur in Ausnahmefällen, etwa bei sog. Maßnahme- oder Einzelfallgesetzen, kann etwas anderes in Betracht kommen und können Belange bestimmter einzelner unmittelbar berührt werden.

Die streitgegenständliche Werbeanlagensatzung richtete sich vor diesem Hintergrund nach Auffassung des LG München II grundsätzlich an die Allgemeinheit. Damit fehle es am erforderlichen Drittbezug eines etwaigen Amtspflichtverstoßes. Den Vorwurf einer am Maßstab von § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB unzulässigen Verhinderungs- bzw. Negativplanung müsse eine Gemeinde nämlich nur dann gegen sich gelten lassen, wenn sie keine städtebaulichen Ziele verfolgt, wenn also die planerische Ausweisung in Wirklichkeit nicht gewollt ist, sondern die Regelung nur und ausschließlich getroffen wird, um eine andere Nutzung zu verhindern. Nicht erforderlich im Sinne dieser Bestimmung sind daher nur solche Bebauungspläne bzw. sonstige baurechtlich relevante Satzungen, die einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuchs nicht bestimmt sind. Davon ist grundsätzlich erst auszugehen, wenn eine positive Zielsetzung nur vorgeschoben wird, um eine in Wahrheit auf bloße Verhinderung gerichtete Planung zu verdecken. Ein solcher Fall ist aber nicht schon dann gegeben, wenn der Hauptzweck der Festsetzungen in der Verhinderung bestimmter städtebaulich relevanter Nutzungen besteht. Eine Gemeinde darf mit der Bauleitplanung grundsätzlich auch städtebauliche Ziele verfolgen, die mehr auf Bewahrung als auf Veränderung der vorhandenen Situation zielen. Es gibt insbesondere kein generelles Verbot negativer Festsetzungen. Denn bereits mit jeder positiven Ausweisung einer zulässigen Nutzung ist regelmäßig auch eine negative, andere Nutzungen ausschließende Wirkung verbunden.

Der Gemeinde ist es also grundsätzlich nicht verwehrt, auf Bauanträge mit einer Bauleitplanung zu reagieren, die diesen die materielle Rechtsgrundlage entziehen soll. Auch eine zunächst nur auf die Verhinderung einer – aus der Sicht der Gemeinde – auf eine Fehlentwicklung gerichtete Planung kann einen Inhalt haben, der rechtlich nicht zu beanstanden ist (siehe zum Ganzen exemplarisch: BVerwG, Beschl. v. 18.12.1990 – 4 NB 8.90 sowie Beschluss vom 15.3.2012 – 4 BN 9.12).

 2.

Auch durch die Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BauGB habe die Beklagte – so das Landgericht München II weiter - keine Amtspflichtverletzung gegenüber der Klägerin verwirklicht. Damit fehlt es insoweit gleichfalls an einer konstitutiven Voraussetzung des geltend gemachten Amtshaftungsanspruches.

Mit seinem Grundsatzurteil vom 16.10.2010 (Az.: III ZR 29/19) mit Anmerkungen hat der BGH entschieden, dass der Gemeinde im Baugenehmigungsverfahren bei der Verweigerung ihres gemeindlichen Einvernehmens keine den Bauwilligen schützende Amtspflichten obliegen, wenn die Baugenehmigungsbehörde nach § 36 Absatz 2 S. 3 BauGB i.V.m. den jeweils einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften das rechtswidrig verweigerte Einvernehmen ersetzen kann (vgl. hierzu auch Zeiser (Rönsberg), Der Wegfall der Außenwirkung der Einvernehmensversagung - Kommt der Paradigmenwechsel im kommunalen Haftpflichtrecht Bayerns, BayVBl. 2010, S. 613 ff.).

Vorliegend sei – so das zur Entscheidung berufene Gericht -  genau die vom BGH im Grundsatzurteil vom 16.10.2010 entschiedene Konstellation gegeben. Ausweislich des Art. 67 Abs. 1 BayBO steht den Baugenehmigungsbehörden in Bayern die oben genannte Ersetzungsbefugnis zu. Damit greift der vom BGH aufgestellte Grundsatz, dass allein die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der Baugenehmigungsbehörde begründet ist, weil sie in eigener Verantwortung über die Baugenehmigung zu befinden hat und die Prüfungskompetenz nicht hinter derjenigen der Gemeinde zurückbleibt. Daneben kommt ein Haftung der Gemeinden und folglich der hiesigen Beklagten wegen Versagung ihres Einvernehmens zum Bauvorhaben der Klägerin nicht mehr in Betracht.

Bebauungsplan und Werbeanlagensatzung sind anerkannte bauplanungsrechtliche Instrumente. Selbst für den Fall also, dass von einer wirksamen Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens auszugehen und dieses mit der unwirksamen Werbeanlagensatzung der Beklagten begründet worden wäre, käme eine Haftung der Beklagten nicht in Betracht (vgl. auch hier Besprechung des Grundsatzurteil des BGH v. 16.10.2010 - III ZR 29/19 mit Anmerkungen). Denn das zuständige Landratsamt hätte Maßnahmen der Kommunalaufsicht oder aber ein Normenkontrollverfahren einleiten und so die Voraussetzungen für die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens schaffen können. Vor diesem Hintergrund kommt in Übereinstimmung mit der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung auch eine Haftung der Beklagten neben der Baugenehmigungsbehörde nicht in Betracht. Mangels drittgerichteter Amtspflicht bleibt es vielmehr bei der Alleinhaftung der Baugenehmigungsbehörde.


Ansprechpartner: Eva-Maria Rönsberg, Fachanwältin für Verwaltungsrecht

Fundstelle: LG München II, Endurteil vom 01.06.2018 - 11 O 2249/17 Ent