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Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Aufklärung über das Risiko einer "Lähmung" (BGH, Urteil vom 11.10.2016 - VI ZR 462/15)

Die Aufklärung über das Risiko einer „Lähmung“ impliziert den Hinweis auf die Gefahr einer „dauerhaften Lähmung“.


Ansprechpartner: Dr. Götz Tacke, Partner

Über das einem ärztlichen Eingriff spezifisch anhaftende Risiko der Lähmung des Beines oder Fußes, das bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet, ist der Patient aufzuklären. Ohne Vorliegen besonderer Umstände gibt es grundsätzlich keinen Grund für die Annahme, der im Rahmen der Aufklärung verwendete Begriff "Lähmung" impliziere nicht die Gefahr einer "dauerhaften Lähmung", sondern sei einschränkend dahin zu verstehen, dass er nur vorübergehende Lähmungszustände erfasse. Damit, dass der Patient einer solchen Fehlvorstellung unterliegt, muss - bei Fehlen entsprechender Anhaltspunkte - der aufklärende Arzt nicht rechnen.

Der Patient muss nur "im Großen und Ganzen" über die Chancen und Risiken der Behandlung aufgeklärt werden und eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren erhalten, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern; die exakte medizinische Beschreibung der in Betracht kommenden Risiken ist nicht erforderlich.

Einem unter einer Hüftkopfnekrose leidenden Patienten wurde eine Hüftgelenktotalendoprothese implantiert. Infolge der Operation leidet er an einer Plexusläsion, einer Fußheber- und Zehenheberparese und einer Fußsenkerparese und kann nicht mehr normal stehen und gehen und auch keinen Sport mehr betreiben.

Im Rahmen der Aufklärung am Tag vor der Operation wurde auf das Risiko von „Nervenverletzungen" hingewiesen, die „dauerhafte Störungen wie z.B. eine Teillähmung des Beines verursachen können."

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Beklagten wegen Verletzung der Aufklärungspflicht verurteilt. Der Kläger hätte auf das Risiko einer dauerhaften Lähmung hingewiesen werden müssen.

Das angefochtene Urteil hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger sei nicht ausreichend aufgeklärt worden.

Aus den Gründen:

"Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass ein Arzt grundsätzlich für alle den Gesundheitszustand des Patienten betreffenden nachteiligen Folgen haftet, wenn der ärztliche Eingriff nicht durch eine wirksame Einwilligung des Patienten gedeckt und damit rechtswidrig ist. Richtig ist auch, dass eine wirksame Einwilligung des Patienten dessen ordnungsgemäße Aufklärung voraussetzt und dass der aufklärungspflichtige Arzt nachzuweisen hat, dass er die von ihm geschuldete Aufklärung erbracht hat. Auch trifft es zu, dass insoweit in erster Linie der Inhalt des Aufklärungsgesprächs maßgeblich ist, weil es jedenfalls bei Eingriffen der vorliegenden Art eines solchen bedarf und schriftliche Merkblätter nur ergänzend verwendet werden dürfen. Das von dem Arzt und dem Patienten unterzeichnete Formular, mit dem der Patient sein Einverständnis zu dem ärztlichen Eingriff gegeben hat, ist lediglich ein Indiz für den Inhalt des Aufklärungsgesprächs.

Rechtsfehlerhaft ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, dass bei Bestehen des Risikos einer nicht nur vorübergehenden Lähmung der vorliegenden eine Aufklärung über das Risiko einer „Lähmung" nicht genüge, sondern über das Risiko einer „dauerhaften Lähmung" aufgeklärt werden müsse.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats muss der Patient nur „im Großen und Ganzen" über Chancen und Risiken der Behandlung aufgeklärt werden. Nicht erforderlich ist die exakte medizinische Beschreibung der in Betracht kommenden Risiken. Dem Patienten muss aber eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren vermittelt werden, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern. Dabei ist über schwerwiegende Risiken, die mit einer Operation verbunden sind, grundsätzlich auch dann aufzuklären, wenn sie sich nur selten verwirklichen. Entscheidend für die ärztliche Hinweispflicht ist, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet. Die Aufklärung muss zudem für den Patienten sprachlich und inhaltlich verständlich sein, wobei es auf die individuelle Verständnismöglichkeit und damit auch auf den Zustand des Patienten ankommt.

Demnach ist auch in für den Patienten verständlicher Weise über das einem Eingriff spezifisch anhaftende Risiko einer Lähmung aufzuklären. Der Senat hat in Bezug auf den Inhalt einer solchen Aufklärung bereits entschieden, dass beispielsweise bei Schluckimpfungen gegen Kinderlähmung der Hinweis auf das Risiko von „Lähmungen" auch das Risiko der Kinderlähmung sowie eine Lähmung aufgrund des Guillain-Barré-Syndroms erfasst. Hingegen genügt jedenfalls im Falle einer fremdnützigen Blutspende der bloße Hinweis auf „Schädigungen von Nerven" - anders als ein Hinweis auf eine „Lähmung" als mögliche Folge einer Nervschädigung - wegen des breiten Spektrums solcher Schädigungen nicht. In seinem Urteil vom 29. September 1998 - VI ZR 268/97 (VersR 1999, 190, 191) hat der Senat ferner entschieden, dass der in einer schriftlichen Einwilligungserklärung zur operativen Beseitigung eines Lipoms am Oberschenkel als eingriffsspezifisches Risiko erwähnte Begriff „Lähmung" auch die dauernde Lähmung umfasst. Der Einwilligungserklärung wurde im dortigen Fall nur deshalb die Indizwirkung für eine ordnungsgemäße Aufklärung abgesprochen, weil die damalige Patientin substantiiert vorgetragen hatte, auf ihre Nachfrage, was „Lähmung" bedeute, sei ihr erklärt worden, dass es zu einer durch eine Einklemmung des Nervs bedingten kurzzeitigen Lähmung kommen könne.

Ohne Vorliegen derartiger besonderer Umstände gibt es hingegen grundsätzlich keinen Grund für die Annahme, der Begriff „Lähmung" impliziere in Fällen wie dem vorliegenden nicht die Gefahr einer dauerhaften Lähmung, sondern sei einschränkend dahin zu verstehen, dass er nur vorübergehende Lähmungszustände erfasse. Damit, dass der Patient einer solchen Fehlvorstellung unterliegt, muss - bei Fehlen entsprechender Anhaltspunkte - der aufklärende Arzt nicht rechnen. Will der Patient Einzelheiten über Art und Größe des Lähmungsrisikos wissen, kann er diese erfragen.

Nach diesen Grundsätzen hatten die Beklagten vorliegend lediglich nachzuweisen, dass der Kläger vor der Operation über das Risiko einer „Lähmung" aufgeklärt worden war; des Nachweises einer Aufklärung über das Risiko einer „dauerhaften Lähmung" bedurfte es hingegen nicht. Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Angaben des Klägers in seiner persönlichen Anhörung vor dem Berufungsgericht, er habe sich unter dem Begriff „Lähmung" nicht automatisch vorgestellt, dass das Risiko einer dauernden Lähmung bestehen könne, und er habe nicht nachgefragt, weil er aufgeregt gewesen sei und auch nur die Hälfte von dem mitbekommen habe, was die Ärztin geäußert habe. Anhaltspunkte dafür, dass der das Aufklärungsgespräch führenden Assistenzärztin diesbezügliche Fehlvorstellungen, Unklarheiten oder Aufmerksamkeitsdefizite auf Seiten des Klägers erkennbar waren oder hätten erkennbar sein müssen, sind weder festgestellt noch ersichtlich"


Fundstelle: VersR 2016, 100