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Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Für den Ursachenzusammenhang zwischen unterlassener Aufklärung und Schaden trägt der Patient die Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urt. v. 07.02.2012)

Besteht die Pflichtverletzung in einer Unterlassung, ist diese für den Schaden nur dann kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt regelmäßig der Geschädigte.
Die haftungsbegrenzende Rechtsfigur des hypothetischen Kausalverlaufs bei rechtmäßigem Alternativverhalten kommt erst dann zum Tragen, wenn die Ursächlichkeit der durchgeführten rechtswidrigen Behandlung für den behaupteten Schaden festgestellt und mithin die Haftung grundsätzlich gegeben ist.


Ansprechpartner: Dr. Götz Tacke, Partner

Bei einer Schwangeren bestand die Gefahr einer Frühgeburt. Die Wehentätigkeit sollte durch eine Tokolyse (medikamentöse Behandlung) und eine Cerclage (Umschlingung des Gebärmutterhalses) verhindert werden. Von der Cerclage hatte man wegen einer Infektion zunächst abgesehen, diese Maßnahme nach dem Abklingen der Infektion dann jedoch nicht mehr veranlasst. Der Kläger kam als Frühgeburt mit 960 g zur Welt und hatte anschließend eine Hirnblutung. Seine Schadensersatzansprüche stützt er auf eine unterbliebene Aufklärung seiner Mutter über die Möglichkeit der Cerclage und die rechtswidrige Fortführung der konservativen Behandlung.

Das Landgericht Köln hatte die Klage abgewiesen. Das OLG Köln gab der Berufung statt. Begründet wurde das damit, dass die Beklagtenseite die Beweislast für die Kausalität zwischen unterlassener Aufklärung bzw. Fortsetzung der (vertretbaren!) konservativen Behandlung und den geltend gemachten Schäden trage.

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

Aus den Gründen:

Das Berufungsgericht hätte dem Vortrag des Klägers nachgehen müssen, dass bei Durchführung der Cerclage, in die seine Mutter bei pflichtgemäßer Aufklärung eingewilligt hätte, die extreme Frühgeburt und die damit verbundenen gravierenden Gesundheitsschäden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wären. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts handelt es sich dabei nicht um die Behauptung eines hypothetischen Kausalverlaufs bei rechtmäßigem Alternativverhalten, sondern um Darlegungen des Klägers zur Kausalität der infolge der unterbliebenen Aufklärung rechtswidrigen Fortsetzung der konservativen Behandlung für den geltend gemachten Schaden. Nach allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen trägt dafür der Kläger und nicht die Beklagtenseite die Darlegungs- und Beweislast.

Der Beweis, dass der ohne rechtswirksame Einwilligung vorgenommene ärztliche Eingriff bei dem Patienten auch zu einem Schaden geführt hat, ist ebenso wie im Fall des Behandlungsfehlers Sache des Patienten. Es besteht kein Sachgrund, bei Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht den Arzt insoweit beweismäßig schlechter zu stellen. Dieser Grundsatz gilt sowohl bei der Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht über die Risiken eines Eingriffs wie auch über bestehende Behandlungsalternativen (Selbstbestimmungsaufklärung).

Der Patient hat nicht nur in den Fällen, in denen die rechtswidrige Behandlung in einem Eingriff, beispielsweise in einer Operation, liegt, sondern auch in den Fällen der rechtswidrigen Fortsetzung konservativer Behandlungsmethoden trotz Bestehens gleichwertiger Behandlungsalternativen zu beweisen, dass die bei ihm vorgenommene Behandlung ursächlich für den geltend gemachten Schaden geworden ist. Dies gilt auch dann, wenn - wie im Streitfall - Schadensersatzansprüche nicht aus der konservativen Behandlung hergeleitet werden, sondern daraus, dass weitergehende Behandlungsmaßnahmen unterblieben sind. Eine Unterlassung ist für den Schaden nur dann kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte. Die bloße Möglichkeit, ebenso eine gewisse Wahrscheinlichkeit genügt nach § 286 ZPO nicht.


Fundstelle: BGH, Urteil vom 07.02.2012 - VI ZR 63/11 (NJW 2012, 850, 851)