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Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Haftung des ausschließlich aufklärenden Arztes (BGH, Urteil vom 21.10.2014 – VI ZR 14/1)

Auch der Arzt, der einen Patienten ausschließlich über den von einem anderen Arzt angeratenen und durchzuführenden Eingriff aufklärt, kann dem Patienten im Falle einer fehlerhaften oder unzureichenden Aufklärung aus unerlaubter Handlung haften.

Ansprechpartner: Dr. Götz Tacke, Partner

Ein Patient wurde von einem freiberuflich für eine Klinik tätigen Arzt aufgeklärt und anschließend von einem anderen Arzt in der Klinik operiert. Es wurden Revisionsoperationen erforderlich. Der Patient behauptete, inhaltlich unzureichend und zu spät aufgeklärt worden zu sein und nahm auch den aufklärenden Arzt auf Schmerzensgeldes, Schadenersatz und Feststellung in Anspruch. Erstinstanzlich obsiegte der Patient teilweise vor dem Landgericht. Das Oberlandesgericht hob das Urteil auf und wies die Klage ab, da der aufklärende Arzt keine Pflichten im Rahmen des von ihr übernommenen Behandlungsteils verletzt habe. Die Revision des Klägers war teilweise erfolgreich.

Aus den Gründen:

"Im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats steht die Annahme des Berufungsgerichts, ein Arzt, der nur die Aufklärung des Patienten über die ihm angeratene Operation übernommen habe, könne eine unerlaubte Handlung begehen (vgl. Senatsurteile vom 29. September 2009 - VI ZR 251/08, VersR 2010, 115 Rn. 14; vom 8. Mai 1990 - VI ZR 227/89, VersR 1990, 1010, 1011; vom 22. April 1980 - VI ZR 37/79, VersR 1981, 456, 457). Denn mit der Aufklärung übernimmt der Arzt einen Teil der ärztlichen Behandlung, was - wie auch sonst die tatsächliche Übernahme einer ärztlichen Behandlung (vgl. Senatsurteil vom 20. Februar 1979 - VI ZR 48/78, VersR 1979, 376, 377) - seine Garantenstellung gegenüber dem sich ihm anvertrauenden Patienten begründet (Senatsurteil vom 22. April 1980 - VI ZR 37/79, aaO). Ist die Aufklärung unvollständig und die Einwilligung des Patienten in die Operation unwirksam, kann der aufklärende Arzt deshalb gemäß § 823 BGB zum Ersatz des durch die Operation entstandenen Körperschadens verpflichtet sein (Senatsurteil vom 29. September 2009 - VI ZR 251/08, aaO). Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass dies nicht nur dann gilt, wenn der aufklärende Arzt - wie in der Senatsentscheidung vom 22. April 198 (VI ZR 37/79, aaO) zugrundeliegenden Fall - dem Patienten als zunächst behandelnder Arzt auch zur Operation geraten hat (so allerdings OLG Bamberg, GesR 2004, 135, 136; anders aber bereits Senatsurteil vom 29. September 2009 - VI ZR 251/08, aaO; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., C Rn. 108; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl., Rn. A 1764).
Von Rechtsfehlern beeinflusst ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nur die Aufklärung über die allgemeinen Risiken der beabsichtigten Operation, nicht aber die Aufklärung über die Erfolgsaussichten und Behandlungsalternativen übernommen. Der vom Berufungsgericht zur Begründung dieser Annahme aufgestellte Rechtssatz, der mit der Aufklärung beauftragte Arzt übernehme dann, wenn er an der Indikationsstellung und Vereinbarung der Operation nicht beteiligt gewesen sei, nur den Teil der Aufklärung, der die Information über die allgemeinen Risiken der zwischen dem Patienten und den behandelnden Ärzten vereinbarten Operation betreffe, und nehme auch nur insoweit eine Garantenstellung gegenüber dem Patienten ein, trifft - jedenfalls in dieser Allgemeinheit - nicht zu. Die Annahme einer Garantenpflicht bei tatsächlicher Übernahme einer ärztlichen Behandlung hat ihren Grund in der Übernahme eines Auftrags (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 2002 - 4 StR 289/01, BGHSt 47, 224 Rn. 20; Senatsurteil vom 8. Februar 2000 - VI ZR 325/98, VersR 2000, 1107) oder in dem Vertrauen, das der betreffende Arzt beim Patienten durch sein Tätigwerden hervorruft und diesen davon abhält, anderweitig Hilfe in Anspruch zu nehmen (vgl. Senatsurteil vom 20. Februar 1979 - VI ZR 48/78, VersR 1979, 376, 377). Feststellungen, dass die Beklagte es gegenüber den behandelnden Ärzten übernommen hätte, die Klägerin über die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Operationen aufzuklären, sind nicht getroffen worden. In der vorgenannten zweiten Fallgruppe ist für die Reichweite der Garantenstellung des Arztes indes der Umfang des Vertrauens entscheidend, das sich der Patient aufgrund des konkreten Auftretens des Arztes berechtigterweise bilden darf. Dies lässt sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht abstrakt bestimmen, sondern hängt stets von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Dabei kommt es darauf an, wie ein objektiver Dritter in der Lage des Patienten das Verhalten des Arztes in der konkreten Behandlungssituation verstehen durfte."

Anmerkung:

Der BGH erweitert die Verantwortlichkeit des „nur aufklärenden Arztes“ und stellt insoweit auf denEmpfängerhorizontab. Durfte der Patient aufgrund des Auftretens des aufklärenden Arztes davon ausgehen, dass dieser an der Indikationsstellung beteiligt war und mit ihm deswegen die Erfolgsaussichten und Behandlungsalternativen bespricht, kommt dessen Haftung als „Garant“ in Betracht.

Fundstelle: GesR 2014, 23 ff.; BeckRS 2014, 22354