Menu

Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Kein echter Entscheidungskonflikt, wenn Einlassung des Patienten gegen allgemeine Erfahrungsgrundsätze verstößt (OLG München, Urt. v. 24.11.2011).

Im Jahr 1974/75 (!) wurde der damals 18jährige Patient nicht darüber aufgeklärt, dass eine bei ihm durchgeführte Strahlentherapie (Extended-field-Bestrahlung) die einzig erfolgversprechende Behandlungsmöglichkeit darstellt und im Fall des Zuwartens mit hoher Wahrscheinlichkeit ein tödlicher Ausgang der Krankheit (Retikulumzellensarkom Stadium I mit V.a. maligne Lymphknoten) zu erwarten ist. Der Einwand der Behandlerseite, dass der Patient auch im hypothetischen Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung eingewilligt hätte, ging vorliegend durch und führte zur Klageabweisung, da es dem Patienten im Rahmen seiner Anhörung nicht gelungen war, zur Überzeugung des Gerichts plausibel darzulegen, dass er, wäre er ordungsgemäß aufgeklärt worden, vor einem "echten Entscheidungskonflikt" gestanden hätte.

Das OLG München erkannte:

1. Bei der Prüfung eines Entscheidungskonflikts ist nicht auf einen "vernünftigen Patienten" abzustellen, sondern auf die konkrete Situation des betroffenen Patienten.

2. Dabei dürfen die Tatgerichte auf den allgemeinen Erfahrungsgrundsatzzurückgreifen, dass ein Mensch, insbesondere ein junger Mensch, der sein Leben noch vor sich hat, sich im Zweifel für eine lebenserhaltende Therapie und nicht für einen wahrscheinlichen frühen Tod entschieden hätte.

Mit Zurückweisung der Berufung des Klägers bestätigte das Oberlandesgericht München das klageabweisende Endurteil des Landgerichts München I. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Ansprechpartner: Dr. Götz Tacke, Partner

Fundstelle: Landgericht München I, Urteil vom 14.07.2011 - 9 O 22519/04; OLG München, Urteil vom 24.11.2011 - 1 U 4262/10