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Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Prozessuale Bedeutung des Aufklärungsformulars (LG Wiesbaden, Urt. v. 20.06.2013 - 9 O 294/10)

Ein eigenhändig unterzeichneter Aufklärungsbogen hat die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich, betreffend sowohl den über der Unterschrift stehenden gedruckten Text, als auch die handschriftlichen Ergänzungen.

Ansprechpartner: Dr. Götz Tacke, Partner

Eine ordnungsgemäße Aufklärung und damit wirksame Einwilligung des Patienten in die Behandlung steht zunächst einmal in der Tat zur Beweislast des Arztes (vgl. BGH, NJW 1992, 2354, 2356). An den hiernach dem Arzt obliegenden Beweis der ordnungsgemäßen Aufklärung des Patienten dürfen jedoch keine unbillig hohen Anforderungen gestellt werden; vielmehr können die ständige Übung und die gewöhnliche Handhabung der Aufklärung von Patienten ein wichtiges Indiz für eine ordnungsgemäße Aufklärung des Patienten auch im jeweiligen Einzelfall darstellen (vgl. BGH, VersR 1992, 237, 238). Ferner sollte dann, wenn einiger Beweis oder Anbeweis für ein gewissenhaftes Aufklärungsgespräch erbracht ist, dem Arzt im Zweifel geglaubt werden, dass die Aufklärung auch im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist (vgl. BGH, NJW 1985, 1399 ff.).

Dabei ist es zunächst einmal als unschädlich anzusehen, dass der beklagtenseits für den Inhalt und Verlauf des Aufklärungsgesprächs benannte Zeuge weder an die Klägerin als Patientin noch an ein mit dieser geführtes Aufklärungsgespräch eine auch nur ansatzweise verwertbare Erinnerung hatte.

Der eigenhändig unterzeichnete Aufklärungsbogen hat für sich die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit (§§ 440, 416 ZPO). Wenn die Echtheit der Unterschrift der Klägerin auf eben diesem Bogen feststeht, hat auch der über der Unterschrift stehende Text die Vermutung der Echtheit für sich, wozu auch die von dem Beklagten handschriftlich eingefügten Ergänzungen zu zählen sind.

Der Aufklärungsrüge der Klägerin vermag es auch nicht zum Erfolg zu verhelfen, dass die Klägerin den Aufklärungsbogen "allenfalls flüchtig gelesen" haben will. Ob dies zutrifft, mag dahinstehen. Denn die Unterschriftsleistung unter eine von dem Unterzeichnenden zuvor nicht oder nur flüchtig gelesene Urkunde fällt grundsätzlich in den Risikobereich des Unterzeichnenden.

Unbeschadet vorstehender Ausführungen betreffend die Aufklärung der Klägerin haften die Beklagten wegen des streitgegenständlichen Eingriffs auch deshalb nicht, weil die Klägerin den von ihr reklamierten Entscheidungskonflikt nicht plausibel zu machen vermochte. Vielmehr erheben die Beklagten insoweit erfolgreich den Einwand der hypothetischen Einwilligung der Klägerin.

Dabei handelt es sich um den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens im Sinne hypothetischer Kausalität. Deshalb trägt der beklagte Arzt grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der klagende Patient auch bei nicht zu beanstandender Aufklärung sich gerade zu dem Eingriff bei ihm, dem behandelnden Arzt, entschlossen hätte. An den Nachweis dieser Behauptung sind anerkanntermaßen strenge Anforderungen zu stellen, damit nicht auf diesem Wege das Aufklärungsrecht des Patienten unterlaufen wird. Allerdings trifft den Arzt diese Beweislast erst dann, wenn der Patient zur Überzeugung des erkennenden Gerichts plausibel macht, dass er, der Patient, wären ihm die Risiken des Eingriffs verdeutlicht worden, vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte. Die Substantiierungspflicht des Patienten beschränkt sich dabei auf die Darlegung des Entscheidungskonflikts, in welchen er bei erfolgter Aufklärung geraten wäre. Er braucht nicht etwa darzulegen, wie er sich tatsächlich entschieden hätte (vgl. BGH, NJW 2010, 3230 ff.); es kommt auch nicht darauf an, wie ein „vernünftiger“ Patient, dem die erforderliche Aufklärung zuteil geworden ist, sich voraussichtlich verhalten hätte; allein entscheidend ist die persönliche Entscheidungssituation des konkreten Patienten aus seinerzeitiger Sicht (vgl. BGH, NJW 1994, 799 ff.).

Bei ihren Einlassungen lässt die Klägerin aber gerade außer acht, dass die allein maßgebende Situation im Zeitpunkt der Aufklärung naturgemäß gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass der Patient bei ordnungsgemäßer und vollständiger Aufklärung zwar um die Risiken der Operation weiß, nicht aber um deren spätere Verwirklichung (vgl. OLG Stuttgart, NJW-RR 2011, 747 ff.).


Anmerkung:

Der Entscheidung des Landgerichts Wiesbaden ist zuzustimmen.

Der „Rückzug auf die Aufklärungsrüge“, für den Fall, dass mit dem Behandlungsfehlervorwurf nicht durchgedrungen wird, findet sich in nahezu jeder Arzthaftungsklage. Selbst wenn ein ausführliches Aufklärungsformular mit handschriftlichen Eintragungen des aufklärenden Arztes und Unterschrift des Patienten existiert, wird häufig (vom Patientenanwalt) pauschal behauptet, über all das, was dokumentiert wurde, sei gar nicht gesprochen worden, der Patient habe sich das Formular nur flüchtig durchgelesen etc.

Bei konsequenter Anwendung der einer Urkunde und damit auch einer Einwilligungserklärung nun einmal immanenten Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit sollten an die Darlegung des die Unrichtigkeit der Urkunde behauptenden Patienten, strenge Anforderungen gestellt werden.

Anders als vielleicht noch vor einigen Jahren, kann heute durchaus davon ausgegangen werden, dass der durchschnittliche mündige Patient einem Arzt gegenüber selbstbewusst genug aufzutreten vermag und seine Unterschrift erst dann setzt, wenn er weiß, was er unterzeichnet.

Besonderes Augenmerk bei der Entscheidung des Landgerichts Wiesbaden ist aus der Sicht des Praktikers auf Beklagtenseite auch auf die Ausführungen zum Entscheidungskonflikt zu legen. Bei der entsprechenden Befragung des Patienten durch das Gericht wird häufig der Fehler gemacht, diesen nicht dahingehend anzuleiten, dass er bei der Frage, wie er sich denn verhalten hätte, wenn über einen bestimmten Punkt aufgeklärt worden wäre, den negativen Ausgang der Behandlung ausklammern bzw. „hinwegdenken“ muss. Das mag im Einzelfall schwierig zu erläutern sein, ist jedoch zwingend erforderlich, um beurteilen zu können, ob sich der Patient aus der Sicht ex ante tatsächlich glaubhaft in einer echten Konfliktsituation befand.

Der „ehrliche“ Patient wird bei korrekter Anleitung und entsprechender Fragestellung („Setzen Sie sich einmal in die damalige Situation zurück und unterstellen Sie dabei, dass die Behandlung erfolgreich verlaufen ist und sich das bei Ihnen eingetretene Risiko nicht verwirklicht hat.“)  in der weit überwiegenden Zahl der Fälle einräumen müssen, dass er seine Einwilligung sehr wohl erteilt hätte. Damit greift der Einwand der hypothetischen Einwilligung durch die Behandlerseite, kann nicht von einem ernsthaften, echten Entscheidungskonflikt auf Patientenseite ausgegangen werden und führt das Haftungsinstrument der Aufklärungsrüge nicht zum Erfolg.

Fundstelle: VersR 2014, 377 ff.