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Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Befunderhebungs-/ Behandlungsfehler bei mehrdeutigen Symptomen (OLG Köln, Urteil vom 23.07.2014 - 5 U 113/13)

Keine Beweislastumkehr hinsichtlich der ungeklärten Kausalitätsfragen zu Lasten des Arztes unter dem Gesichtspunkt des Befunderhebungsfehlers oder demjenigen des groben Behandlungsfehlers, beim Vorliegen mehrdeutiger Symptome.

Aufgrund eines Querschnittsyndroms mit vorangegangenem Fieber begab sich der Kläger in eine Klinik. Dort wurde die Diagnose Querschnittsmyelitis gestellt. Liquoruntersuchungen wurden durchgeführt. Eine antibiotische Behandlung erfolgte nicht. Der Kläger verlangt u.a. Schmerzensgeld mit der Behauptung, eine Neuroborreliose sei bei ihm fehlerhaft verkannt und entsprechend nicht behandelt worden.

Das Landgericht wies die Klage mit der Begründung ab, dass nach der durchgeführten Beweisaufnahme schadensursächliche Befunderhebungs- oder sonstige Behandlungsfehler nicht festgestellt werden könnten. Die dagegen erhobene Berufung blieb erfolglos.

Aus den Gründen:

"Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme scheitert eine Inanspruchnahme des Beklagten jedenfalls daran, dass die Kausalität eines eventuellen Fehlers der Behandler im Hause des Beklagten nicht hinreichend sicher festgestellt werden kann, und dass für den Nachweis der Kausalität Beweiserleichterungen für den Kläger ersichtlich weder unter dem Gesichtspunkt des im Rechtssinne groben Behandlungsfehlers noch unter dem Gesichtspunkt des Befunderhebungsmangels in Betracht kommen: Denn nach den ebenso umfassend wie überzeugend begründeten Feststellungen des Gerichtssachverständigen … kann nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Kläger im Jahre 1992 tatsächlich an einer Lyme-Neuroborreliose gelitten hat, die die Ursache für die Myelitis gewesen sein könnte, und kann deshalb auch die Kausalität einer eventuell fehlerhaft unterlassenen Antibiose auf Verdacht hin für die beim Kläger eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen schon vom Ansatz her nicht festgestellt werden, weil eine Antibiose nur hätte wirken können, wenn beim Kläger tatsächlich eine Lyme-Neuroborreliose vorgelegen hätte, während eine solche Antibiose ansonsten und insbesondere gegen eine virale Erkrankung wie etwa eine FSME wirkungslos geblieben wäre. … Die Diagnose einer Neuroborreliose sei im Jahre 1992 mit erheblicher Unwägbarkeit behaftet gewesen und sei dies auch heute noch. So sei die generell geübte Serologie mit einer erheblichen Quote falsch-negativer und falsch-positiver Reaktionsausfälle belastet. Im Jahre 1992 sei das Ausschlussverfahren eine Möglichkeit der Diagnosestellung gewesen und auch heute werde noch gefordert, im Rahmen der Diagnostik einen Ausschluss anderer Ursachen vorzunehmen. Es sei beim Kläger eine Reihe anderer Ursachen für sein Erkrankungsbild vorstellbar. Insbesondere sprächen die Symptome und insoweit auch der zweiphasige Fieberverlauf eher für eine FSME [Frühsommer-Meningoencephalitis] als Ursache für die Myelitis. Demgegenüber sei aufgrund der Ergebnisse der Laboruntersuchungen … sowie aufgrund der klinischen Symptomatik eine Lyme-Neuroborreliose als Ursache für die Myelitis unwahrscheinlich gewesen. So spreche insbesondere das Vorliegen der Myelitis selbst gegen eine Lyme-Neuroborreliose als Ursache für die Myelitis, weil eine Lyme-Neuroborreliose äußerst selten zu einer Myelitis führe. Ferner spreche gegen eine Neuro-Neuroborreliose der Umstand, dass sich die Myelitis beim Kläger relativ schnell entwickelt habe; denn für die Lyme-Neuroborreliose seien relativ langsame Verläufe typisch. Auch die Hochfieberphase und der zweiphasige Fieberverlauf seien für die Lyme-Neuroborreliose untypisch. Der Liquor-Befund spreche ebenfalls eher gegen als für eine Lyme-Neuroborreliose, sei aber letztlich nicht hinreichend aussagekräftig, weil mit diesem Befund eine Neuro-Neuroborreliose eindeutig weder belegt noch ausgeschlossen werden könne. Es habe beim Kläger kein Symptom vorgelegen, dass explizit für eine Lyme-Neuroborreliose gesprochen hätte. Ergänzend hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass in ca. 50% der Fälle des Vorliegens einer Myelitis eine eindeutige Ursache nicht festgestellt werden könne. Dementsprechend sei der Umstand, dass beim Kläger die Ursache für die stattgehabte Myelitis nicht sicher festgestellt werden könne, gar nicht so ungewöhnlich. … Da somit nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden könne, dass der Kläger an einer Lyme-Neuroborreliose gelitten habe, könne selbstredend auch die Kausalität einer eventuell fehlerhaft unterlassenen Antibiose auf Verdacht hin für die beim Kläger eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen schon vom Ansatz her nicht festgestellt werden. Denn eine Antibiose auf Verdacht hin hätte nur wirken können, wenn beim Kläger tatsächlich eine Lyme-Neuroborreliose vorgelegen hätte, während eine solche Antibiose ansonsten und insbesondere gegen eine virale Erkrankung wie etwa eine FSME wirkungslos geblieben wäre. … Vor dem Hintergrund des Vorstehenden kann die Kausalität einer eventuelle fehlerhaft unterlassenen Antibiose auf Verdacht hin für die beim Kläger eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht hinreichend sicher festgestellt werden. Und Beweiserleichterungen für den Nachweis der Kausalität kommen für den Kläger weder unter dem Gesichtspunkt des im Rechtssinne groben Behandlungsfehlers noch unter dem Gesichtspunkt des Befunderhebungsmangels in Betracht. … Die Annahme eines im Rechtssinne groben Fehlers scheidet ersichtlich aus. Denn nach den Feststellungen des Sachverständigen kann das Unterlassen der Antibiose auf Verdacht hin - sollte dies überhaupt als Behandlungsfehler bewertet werden können - jedenfalls nicht als im Rechtssinne grober Fehler qualifiziert werden. Insoweit fehlen bereits gesicherte, elementare Grundsätze, gegen die verstoßen worden sein könnte; denn Leitlinien oder ansonsten gesicherte und als verbindlich anerkannte Erkenntnisse zur Behandlung hat es im Zusammenhang mit der Lyme-Neuroborreliose im Jahre 1992 noch nicht gegeben. Und im Übrigen hat der Sachverständige mit überzeugender Begründung darauf hingewiesen, dass im Jahre 1992 die Auffassung sehr verbreitet und unter den Medizinern gewissermaßen herrschende Meinung und Handhabung gewesen sei, dass eine Antibiose wegen der potentiellen Nebenwirkungen erst dann eingeleitet wird, wenn die Diagnose gesichert ist. Hinzu kommt, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen … beim Kläger die klinischen und labortechnischen Befunde eher gegen als für eine Lyme-Neuroborreliose gesprochen haben. Im Hinblick auf Vorstehendes kann von einem aus medizinischer Sicht unverständlichen Handeln der Behandler im Hause des Beklagten, das einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf, keine Rede sein. … Auch Beweiserleichterungen unter dem Gesichtspunkt des Befunderhebungsmangels scheiden ersichtlich aus. Denn zum einen kann nach den Feststellungen des Gerichtssachverständigen zu keiner der denkbaren weiteren Befunderhebungen festgestellt werden, dass diese mit einer mehr als 50%-igen Wahrscheinlichkeit einen reaktionspflichtigen Befund ergeben hätte. Und zum anderen kann aus den oben dargelegten Gründen nicht festgestellt werden, dass eine Nichtreaktion auf einen eventuellen reaktionspflichtigen Befund einen im Rechtssinne groben Behandlungsfehler dargestellt hätte."


Fundstelle: VersR 2015, 989, 990