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Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Diagnosefehler als Behandlungsfehler (OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 21.03.2017 - 8 U 228/11)

Ansprechpartner: Dr. Götz Tacke, Partner

Irrtümer bei der Diagnosestellung, die in der Praxis nicht selten vorkommen, sind oft nicht die Folge eines vorwerfbaren Versehens des Arztes. Die Symptome einer Erkrankung sind nämlich nicht immer eindeutig, sondern können auf die verschiedensten Ursachen hinweisen.

Vor diesem Hintergrund sind bei einer objektiv fehlerhaften Diagnose drei Gruppen zu unterscheiden:

1.
Es kann sich um einen nicht vorwerfbaren Diagnoseirrtum handeln, der keine Haftung begründet. Dieser liegt vor, wenn ein Arzt - gemessen an dem Facharztstandard seines Fachbereichs - die gebo-tenen Befunde erhoben und vertretbar gedeutet hat.

2.
Ist die Diagnose dagegen nicht bzw. nicht mehr vertretbar, liegt ein vorwerfbarer Diagnosefehler im Sinne eines einfachen Behandlungsfehlers vor.

3.
Ein Fehler bei der Interpretation von Krankheitssymptomen stellt schließlich dann einen schweren Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst und damit einen „groben“ Diagnosefehler dar, wenn es sich um einen fundamentalen Irrtum handelt.

Wegen der bei Stellung einer Diagnose nicht seltenen Unsicherheiten muss die Schwelle, von der ab ein Diagnoseirrtum als schwerer Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen ist, der dann zu einer Belastung mit dem Risiko der Unaufklärbarkeit des weiteren Ursachenverlaufs führen kann, hoch angesetzt werden. Die Wertung einer objektiv unrichtigen Diagnose als Behandlungsfehler kommt dabei in Betracht, wenn Symptome vorliegen, die für eine bestimmte Krankheit kennzeichnend sind, von dem Arzt aber nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Ist in Folge eines ärztlichen Behandlungsfehlers (nach einer distalen Radiusfraktur des rechten Hand-gelenks) ein weiterer Eingriff zur Entfernung von Osteosynthesematerial (winkelstabile Radiuspatte mit sechs Schrauben) erforderlich, sind wegen der durch die notwendig gewordene zweite Operation erlit-tenen Beeinträchtigungen € 500,00 Schmerzensgeld auch unter dem Aspekt der Genugtuung ausreichend und erforderlich, um die durch den Behandlungsfehler erlittenen Folgen auszugleichen.

Fundstelle: BeckRS 2017, 136105