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Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Diagnosefehler bei völlig fernliegender Erkrankung (OLG Koblenz, Beschluss vom 27.01.2014 - 5 U 1383/13)

Keine Arzthaftung für Diagnosefehler bei völlig fernliegender Erkrankung.

Deutet das klinische Bild auf eine bestimmte, nach den Gesamtumständen nahe liegende Erkrankung, ist die darauf gestützte ärztliche Fehldiagnose nicht haftungsrelevant, wenn die tatsächlich vorliegende Erkrankung (hier: subfascialer Gasbrand) im Alltag eines durchschnittlichen Krankenhauses praktisch nicht anzutreffen und daher auch nicht in das Gefahrbewusstsein gerückt ist.

Ein Patient verstarb in einem Krankenhaus nach einer Hüft-OP an den Folgen eines nicht diagnostizierten Gasbrandes. Die Klage der Angehörigen und Erben wurde abgewiesen. Die Berufung durch Beschluss zurückgewiesen.

Aus den Gründen:

"Vor diesem Hintergrund kann die Fehldiagnose, die die Kläger auf der Beklagtenseite beanstanden, keine Schadensverantwortlichkeit begründen. Irrtümer in der Diagnosestellung rechtfertigen aus sich heraus nicht den Schluss auf ein schuldhaftes ärztliches Verhalten (BGH VersR 1981, 1033; BGH NJW 2003, 2827). Da pathologische Erscheinungsbilder oft mehrdeutig sind, sind derartige Fehleinschätzungen in der medizinischen Praxis nicht ungewöhnlich. Liegt die Ursache einer Symptomatik nahe, kann das den Blick auf andere Umstände verstellen, ohne dass damit Fahrlässigkeiten einhergehen müssen (Senat OLGR Koblenz 2006, 911). Ein haftungsrechtlich erhebliches Verschulden ist erst dort gegeben, wo das diagnostisch gewonnene Ergebnis für einen gewissenhaften Arzt nicht mehr vertretbar erscheinen kann (Senat OLGR Koblenz 2008, 100) ... Der - entschuldbare - Diagnoseirrtum, der den Beklagten unterlief, löst nicht etwa deshalb eine Haftung aus, weil er von dem Versäumnis begleitet war, Untersuchungen mit dem Blick auf mögliche Knistergeräusche im Oberschenkel oder ein etwaiges Empyhsem in die Wege zu leiten und so - auch unter Einsatz labortechnischer und bildgebender Verfahren - einen Gasbrand aufzuspüren. Ein Fehler in der Diagnose wird nicht dadurch zu einem haftungsträchtigen Befunderhebungsfehler, dass bei einer abweichenden Diagnose bestimmte unterlassene Befunde zu erheben gewesen wären (BGH MDR 2011, 224). … Man kann zugunsten der Kläger unterstellen, dass die Erreger des Gasbrands während der Operation … in den Körper gelangten. Dabei handelt es sich indessen um ein allgemeines Risiko, für dessen Verwirklichung die Beklagte nur dann haftbar gemacht werden kann, wenn Hygienegebote verletzt wurden und die Schadensursache damit einem Bereich zugeordnet werden kann, der voll beherrschbar war (BGHZ 171, 358). Das hätte zur gerichtlichen Überzeugung aufgezeigt werden müssen; erst auf dieser Grundlage wären den Klägern Beweisvorteile zugute gekommen (vgl. Senat in MedR 2006, 657)."


Fundstelle: BeckRS 2014, 11455, VersR 2015, 988, 989