Menu

Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Diagnoseirrtum bei Auswertung von Röntgenbildern (OLG Koblenz, Beschl. v. 20.02.2017 - 5 U 1349/16)

Es stellt keinen Behandlungsfehler, sondern einen nicht zu vertretenden reinen Diagnoseirrtum dar, wenn bei einer Röntgenuntersuchung eine winzige Aufhellung nur unter Berücksichtigung der später gewonnenen Erkenntnisse zum Vorliegen eines tumorösen Geschehens bereits als entsprechender Hinweis eingeordnet werden kann.

Es obliegt nicht der Behandlerseite, nachzuweisen, dass sich die gestellte (unzutreffende) Diagnose als in der gegebenen Situation vertretbare Deutung der Befunde darstellt.

Ansprechpartner: Dr. Götz Tacke, Partner

Auch ein Diagnosefehler, also die fehlerhafte Interpretation eines Befundes, als Behandlungsfehler die Haftung des Arztes begründen kann. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass ein Diagnoseirrtum, der auf die Fehlinterpretation eines Befundes zurückzuführen ist, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet werden kann. Eine Einstandspflicht ist daher nicht gegeben, wenn sich die fehlerhafte Diagnose als in der gegebenen Situation vertretbare Deutung der Befunde darstellt, wobei auf die Sicht des Arztes zum Zeitpunkt der Diagnosestellung abzustellen ist. Maßgebend ist folglich die Sicht ex ante. Nachträgliche Erkenntnisse sind bei der Beurteilung des Vorliegens eines Behandlungsfehlers nicht zu berücksichtigen. Ein nicht vorwerfbarer Diagnosefehler liegt allerdings dann vor, wenn Symptome oder Befunde gegeben sind, die für eine bestimmte Erkrankung kennzeichnend sind, vom Arzt aber nicht ausreichend berücksichtigt oder falsch gedeutet werden.

Auch das Vorliegen eines vorwerfbaren Diagnosefehlers steht in der Beweislast des Patienten. Insoweit gelten die allgemein zum Arzthaftungsrecht entwickelten Grundsätze. Der Einwand der Klägerin in der Berufungsbegründung, die Beklagten müssten den Entlastungsbeweis hinsichtlich des Diagnoseirrtums führen, trägt nicht. Die Klägerin muss das Vorliegen eines Behandlungsfehlers beweisen. Vermag aber nur ein sog. vorwerfbarer Diagnosefehler die Haftung zu begründen, muss der Patient das Vorliegen einer entsprechenden Sachlage beweisen. Es obliegt nicht den Beklagten, nachzuweisen, dass sich die fehlerhafte Diagnose als in der gegebenen Situation vertretbare Deutung der Befunde darstellt.

Nachdem die Sachverständige ausgeführt hat, die Röntgenaufnahme lasse aus ex ante-Sicht einen Tumor nicht in einer Weise erkennen, die bei einem Übersehen Vorwürfe gegenüber dem befundenden radiologischen Facharzt eröffnen würde und dass die winzige Aufhellung auf der linken Seite nur unter Berücksichtigung der später gewonnenen Erkenntnisse als Hinweis für ein komplexes und multifaktorielles tumorösen Geschehens eingeordnet werden könne, liegt eine in der Praxis aus vielfältigen Gründen nicht seltene Fehlbeurteilung und damit ein nicht zu vertretender Diagnoseirrtum - und keine unvertretbare Deutung der Befunde - vor.


Fundstelle: GesR 2017, 399 f