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Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Haftung des Erstoperateurs aus Behandlungsfehler auch für Komplikationen nach Zweiteingriff an anderer Stelle durch anderen Arzt. (OLG München, Urt. v. 21.04.2011; BGH, Urt. v. 22.05.2012)

Selbst wenn durch einen Ersteingriff keine Risikoerhöhung für einen Zweiteingriff erfolgt, sind die Komplikationen nach dem Zweiteingriff dem Erstoperateur als Folge seines (groben) Behandlungsfehlers zuzurechnen. Das sei, so dass OLG, nicht unbillig, denn dieser Nachteil stamme"aus dem Bereich der Gefahren, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte vertragliche oder vorvertragliche Pflicht übernommen worden ist".


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Das Landgericht verurteilte die Behandlerseite, deren Haftpflichtversicherung schon vorgerichtlich in dieser Größenordnung regulierungsbereit war, dafür, dass unnötigerweise ein Ersteingriff an falscher Stelle durchgeführt und dabei statt eines bösartigen Tumors nur ein gutartiger Polyp entfernt wurde. Es verneinte jedoch eineZurechnungder Komplikationen nach dem alio loco durchgeführten Zweiteingriff, nachdem der Sachverständige festgestellt hatte, dass sich die Risiken für Komplikationen nach dem Eingriff an der richtigen Stelle nicht dadurch erhöht hatten, dass zuvor an einer anderen Stelle des Darms operiert wurde. Juristisch argumentiert wurde mit nicht nachgewiesener Kausalität nach der Äquivalenztheorie und dem Schutzzweck der Norm. Die verzögerte Operation an der richtigen Stelle hatte nach Bekundung des Sachverständigen nämlich nicht zu einer schlechteren Prognose bei der Klägerin geführt. Das Landgericht verurteilte die Beklagten daher zu € 5.000,00 Schmerzensgeld wegen des unnötigen Ersteingriffs und wies die Klage mit einem Streitwert von rd. € 70.000,00 im übrigen ab, da zwischen dem Umstand, dass der Tumor nicht beim Ersteingriff entfernt wurde und dem komplikationsbehafteten Verlauf nach dem Zweiteingriff der innere Zusammenhang fehlt.

Das sah das Oberlandesgericht nach erneuter Anhörung des Sachverständigen anders. Der Sachverständige blieb zwar dabei, dass sich die Prognose für die Klägerin durch die verspätete Tumorentfernung nicht verschlechtert und sich durch den Ersteingriff das Risiko für Komplikationen nach dem Zweiteingriff nicht erhöht hatte, da dieser "in jungfräulichem Gebiet" durchgeführt wurde. Dennoch erfolgte zweitinstanzlich eine Verurteilung der Beklagten auch für die Komplikationen nach dem Zweiteingriff mit der Argumentation, dass es nicht unbillig sei, dem Erstoperateur als Folge seines (groben) Behandlungsfehlers die Komplikationen nach dem Zweiteingriff zuzurechnen, denn dieser „Nachteil“ stamme "aus dem Bereich der Gefahren, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte vertragliche oder vorvertragliche Pflicht übernommen worden ist". Den Beklagten hätte es schließlich offen gestanden, nachzuweisen, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre...

Das Oberlandesgericht sah allerdings auch, dass die Frage, ob die Haftung eines Arztes, der durch einen (groben) Behandlungsfehler einen weiteren Eingriff mit gleicher Indikation verursacht hat und sich bei dem zweiten Eingriff ein durch den ersten Eingriff nicht erhöhtes operationsimmanentes Risiko verwirklicht, nach der sog. Schutzzwecklehre zu begrenzen ist oder nicht, von grundsätzlicher Bedeutung ist und ließ die Revision ausdrücklich zu.

Der Bundesgerichtshof folgte dem Oberlandesgericht. Es handele sich um einen Fall des "hypothetischen Kausalverlaufs bei rechtmäßigem Alternativverhalten". Die Beklagten hätten den (Anm.: unmöglichen) Nachweis nicht geführt, dass der Schaden auch bei rechtmäßigem und fehlerfreiem ärztlichen Handeln eingetreten wäre. Auch der "Schutzzweck der Norm" führe nicht zu einer Begrenzung der Schadensersatzpflicht, da die eingetretenen Schäden unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen.


Fundstelle: Landgericht München I, Urt. v. 24.02.2010 - 9 O 11012/09; OLG München, Urt. v. 21.04.2011 - 1 U 2363/10, veröffentlicht in der VersR 2011, S. 1012 ff.; BGH, Urt. v. 22.05.2012 - VI ZR 157/11, veröffentlicht z.B. in der GesR 2012, 419 ff.; VersR 2012, 905 ff.