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Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Indikation der PEG-Sondenernährung (Landgericht München I, Urt. v. 18.01.2017 – 9 O 5346/14).

Die Fortsetzung der künstlichen Ernährung eines Patienten über eine PEG-Sonde kann in bestimmten Situationen einen Behandlungsfehler darstellen, wenn dies nicht erörtert wurde.

Es gibt keinen allgemeinen Vermutungssatz, dass sich ein Patient in Kenntnis seiner Situation fürs Sterben entschieden hätte.


Ansprechpartner: Dr. Götz Tacke, Partner

Der in einer Pflegeeinrichtung befindliche, schwer demente Vater des Klägers wurde mit einer liegenden PEG-Sonde vom Beklagten als Hausarzt „übernommen“. Es gab keine Patientenverfügung. Der Patient stand unter Betreuung eines Rechtsanwalts. Die PEG-Sonde wurde auf Wunsch des klagenden Sohns und des Betreuers gelegt. Der Sohn lebt in den USA. Er hatte seinen Vater in den letzten drei Jahren nicht besucht und nie Kontakt mit dem Hausarzt aufgenommen. Auch der Betreuer hatte sich nie an den Beklagten gewandt und eine Beendigung der Sondenernährung gewünscht. Der Betreuer hatte verlangt, dass der Patient bei Problemen in ein Krankenhaus eingewiesen wird. Wegen einer Aspirationspneumonie wurde der Kläger in ein Krankenhaus eingewiesen und verstarb dort.


Der klagende Sohn des Patienten wirft dem seinen Vater als Hausarzt betreuenden Beklagten vor, dass er die Leiden seines Vaters sinnlos verlängert habe. Der Zustand seines Vaters habe etwa zwei Jahre vor seinem Versterben die Indikation zur künstlichen Ernährung über eine PEG-Sonde nicht (mehr) gerechtfertigt. Vom Beklagten verlangt er jetzt die aufgewandten Unterbringungskosten und ein ererbtes Schmerzensgeld.

Das Landgericht wies die Klage ab.


Dies mit der Begründung, dass der Hausarzt nicht verpflichtet gewesen sei, die Ernährung mit der PEG-Sonde selber abzubrechen. Der Beklagte habe allerdings„ihm aus § 1901 b Abs. 1 BGB erwachsende und das Behandlungsverhältnis prägende Pflichten"verletzt. Er hätte prüfen müssen, welche ärztlichen Maßnahmen im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert sind und die dann nach § 1901 b BGB zu treffende Entscheidung über die Fortsetzung der Maßnahme mit dem Betreuer erörtern müssen. Der Betreuer hätte darüber in Kenntnis gesetzt werden müssen, dass ein über die reine Lebenserhaltung hinausgehendes Therapieziel nicht mehr erreichbar war und mit ihm hätte erörtert werden müssen, ob die Sondenernährung fortgesetzt oder abgebrochen werden soll. Dass dies nicht geschehen sei, stelle eine Verletzung der Verpflichtung aus § 1901 b Abs. 1 BGB und damit einen Behandlungsfehler dar.

Es stehe jedoch nicht mit der gemäß § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser Behandlungsfehler ursächlich für die PEG-Sonden-Ernährung des Patienten bis zu seinem Versterben war. Die Klagepartei habe nicht zur Überzeugung des Gerichts dargetan und nachgewiesen, dass die Erörterung mit dem Betreuer zu der Entscheidung geführt hätte, die Ernährung zu beenden. Der Patient hatte keine Patientenverfügung. Sein mutmaßlicher Wille konnte nicht ermitteln werden. Es gibt keinen Vermutungssatz, wie sich ein Patient in einer derartigen höchstpersönlichen Situation entschieden hätte. In Zweifelsfällen gilt ein „Vorrang des Lebens“. Dies ergebe sich aus der Gesetzesbegründung und den Ausführungen des hinzugezogenen Sachverständigen, der aus seiner praktischen Erfahrung berichtet hatte, dass es immer wieder Patienten gebe, die sich in vergleichbaren Situationen für eine Fortsetzung der lebenserhaltenden Maßnahmen entscheiden.

Anmerkung:

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Berufung zum Oberlandesgericht München wurde von der Klagepartei bereits eingelegt. Soweit ersichtlich, beschreitet das Gericht mit der Annahme eines Behandlungsfehlers wegen unterbliebener Erörterung rechtliches Neuland.


Fundstelle: noch nicht veröffentlicht
(nicht rechtskräftig)