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Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Dauer und Höhe des Manschettendrucks sind nicht dokumentationspflichtig. (Landgericht München I, Urt. v. 09.01.2013)

Die Dokumentationspflicht erstreckt sich nur auf Umstände, die für die Diagnose und Therapie nach medizinischem Standard wesentlich und deren Aufzeichnung und Aufbewahrung für die weitere Behandlung des Patienten medizinisch erforderlich ist. 

Umstände und Tatsachen, deren Aufzeichnung und Aufbewahrung für die weitere Behandlung des Patienten medizinisch nicht erforderlich sind, sind auch aus Rechtsgründen nicht geboten, so dass aus dem Unterbleiben derartiger Aufzeichnungen keine beweisrechtlichen Folgerungen zu ziehen sind. 

Die Dauer und Höhe des Manschettendrucks einer Oberschenkelblutsperre ist aus medizinischen Gründen nicht dokumentationspflichtig, da diese Angaben für den Nachbehandler unerheblich sind, denn bei der Feststellung von Haut-, Muskel-, Gefäß- oder Nervenverletzungen im postoperativen Verlauf erfolgt unabhängig von der Ursache eine symptombezogene Behandlung, bei der der Manschettendruck keine Rolle spielt.

Anmerkung:    

Im Rahmen des am 26. Februar 2013 in Kraft getretenen neuen Patientenrechtegesetzes (PRG) wurde in das BGB mit dem § 630 f eine neue Vorschrift „Dokumentation der Behandlung“ eingefügt, wonach der Behandelnde (= Arzt) in Abs. 2 verpflichtet wird, dem Patienten sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen.

Die Bundesärztekammer (Montgomery et. al., „Das Patientenrechtegesetz aus Sicht der Ärzteschaft“, MedR 2013, 149 ff, 151) sieht darin eine „die vertrauensvolle Patienten-Arzt-Beziehung gefährdende Verschärfung der Rechtslage“für den Arzt, da diese Regelung noch über das Berufsrecht (§ 10 Abs. 1 MBO-Ä) hinausgeht und dem Arzt (noch) mehr Zeit nimmt, die er ansonsten seinem Patienten entgegenbringen könnte.  

Der vorliegende Fall dürfte unter Geltung des PRG, das im Wesentlichen die bisherige Rechtsprechung kodifiziert, jedoch kaum anders zu beurteilen sein. Nach den Feststellungen des vom Gericht hinzugezogenen Sachverständigen (Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Chirurgie) ist es aus fachlicher (= medizinischer) Sicht für die Nachbehandlung eines Patienten mit einem Nervenschaden nach einer Operation mit Blutsperre nicht relevant, wie lange und mit welchem Druck sie angelegt wurde. 

Fazit:

Obwohl hier nach neuem wie altem Recht keine Dokumentationspflichtbesteht und die Dokumentation nicht dazu dienen soll, dem Patienten Beweise in einem Arzthaftungsprozess zu beschaffen (Martis Winkhart, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., Rn D 206), bleibt es trotz beschränkten Zeitkontingents des Arztes - nach alter und neuer Rechtslage - bei der Empfehlung, im Zweifel zu dokumentieren. Dies gilt insbesondere, wenn der zeitliche Aufwand (wie hier bei der Höhe und Dauer des Drucks einer Blutsperre) überschaubar und/oder auf das medizinische Hilfspersonal delegierbar ist. Dass die Verwendung von Kürzeln und Symbolen ausreichend ist, entspricht der ständigen BGH-Rechtsprechung (Martis Winkhart, a.a.O., Rn D 209).     
Auch wenn das von Rechtsprechung und nunmehr Gesetzgeber nicht in den Vordergrund gestellt wird, kann sich der Arzt, dessen Dokumentation bis zum Beweis der Unrichtigkeit Glauben zu schenken ist (Martis Winkhart, a.a.O., Rn D 203), damit gegenüber unberechtigten Vorwürfen der Patientenseite absichern.

Ansprechpartner: Dr. Götz Tacke, Partner

Fundstelle: Landgericht München I - 9 O 20844/11