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Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Bei „abgrenzbarer Teilkausalität“ haftet der Arzt nur für die aus seinem Fehler resultierenden Folgen (BGH, Urteil vom 20.05.2014 - VI ZR 187/13)

Nach einer Entbindung hatte das Kind schwerste körperliche und geistige Beeinträchtigungen. Ein Sachverständiger hatte festgestellt, dass der Schaden aus einen schicksalhaften Anteil und einem weiteren, von den Ärzten, der Hebamme und den Krankenschwestern der Kinderstation gemeinsam zu verantwortenden Anteil besteht. Eine exakte Aufteilung sei zwar nicht möglich aber der maximale Anteil der Schädigung durch die Beklagten betrage 20%. Mindestens 80% der Schäden seien bereits vorhanden gewesen, bevor sich die haftungsbegründenden Fehler der Beklagten ausgewirkt hätten. Die Beklagten wurden daher verurteilt, dem Kläger 20% seiner Schäden zu erstatten.

Der BGH hielt die Begrenzung des Haftungsanteils für rechtsfehlerfrei, da es einen abgrenzbaren Teil des Schadens gibt, der nach dem erforderlichen Beweismaß des § 286 ZPO festgestellt wurde. Die Beklagten hätten den Nachweis erbracht, dass der größte Teil des Gesundheitsschadens bereits - schicksalhaft - vorhanden war. Es sei Sache des Tatrichters und einer Prüfung durch das Revisionsgericht entzogen, die Ausführungen des Sachverständigen zu würdigen. Dieser habe sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt, dessen Würdigung sei vollständig und rechtlich möglich gewesen und habe nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen.

Aus den Gründen:

„Auch wenn eine Mitursächlichkeit der Alleinursächlichkeit haftungsrechtlich grundsätzlich in vollem Umfang gleichsteht ... , ist dies ausnahmsweise nicht der Fall, wenn feststeht, dass der Behandlungsfehler nur zu einem abgrenzbaren Teil des Schadens geführt hat, also eine sogenannte abgrenzbare Teilkausalität vorliegt (vgl. Senatsurteile vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96, VersR 1997, 362, 363; vom 8. Februar 2000 - VI ZR 325/98, VersR 2000, 1107, 1108; vom 5. April 2005 - VI ZR 216/03, VersR 2005, 942; Senatsbeschluss vom 13. November 2007 - VI ZR 155/07, juris). Erforderlich ist, dass sich der Schadensbeitrag des Behandlungsfehlers einwandfrei von dem anderen Schadensbeitrag - etwa einer Vorschädigung des Patienten - abgrenzen und damit der Haftungsanteil des Arztes bestimmen lässt (G. Müller, VersR 2006, 1289, 1296). Andernfalls verbleibt es bei der Einstandspflicht für den gesamten Schaden, auch wenn dieser durch andere, schicksalhafte Umstände wesentlich mitverursacht worden ist (vgl. OLG Schleswig, OLGR Schleswig 2005, 273, 275; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., B Rn. 217).“

Ansprechpartner: Dr. Götz Tacke, Partner

Anmerkung:

Die Entscheidung verdient Aufmerksamkeit. Vergleichbare Fälle führen meist zur vollen Verurteilung der Behandlerseite, da eine Mitursächlichkeit, und sei es auch nur im Sinne eines Auslösers neben erheblichen anderen Umständen, der Alleinursächlichkeit grundsätzlich haftungsrechtlich in vollem Umfang gleichgestellt wird. Dass ein Sachverständiger einen „abgrenzbaren Schadensanteil“ feststellt und sich dann auch noch auf eine Quote festlegt, ist selten. Eine Abkehr vom „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ bedeutet diese Entscheidung nicht. Fälle mit abgrenzbarer Teilkausalität, und dann auch noch auf einen Prozentsatz eingegrenzt, dürften eine Rarität bleiben. Es bleibt abzuwarten, ob Sachverständige und Tatrichter dieser Frage jetzt vermehrt Aufmerksamkeit schenken werden, um im Einzelfall zu differenzierteren und „gerechteren“ Entscheidungen zu kommen – oder einen entsprechenden Vergleichsvorschlag unterbreiten zu können.

Fundstelle: VersR 2014, 1130