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Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Das Gericht hat erheblichen Sachvortrag der Parteien zu berücksichtigen (BGH, Beschl. v. 08.03.2016 - VI ZR 243/14)

Das Gericht verletzt den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise, wenn es erheblichen Sachvortrag der Parteien nicht berücksichtigt.


Ansprechpartner: Dr. Götz Tacke, Partner

In einem Arzthaftungsprozess ging es u.a. um eine angeblich fehlerhafte Aufklärung im Rahmen einer Geburt. Die Klinik und die beteiligten Ärzte wurden auf materiellen und immateriellen Schadenersatz in Anspruch genommen, nachdem es bei dem Kind zu einer Schulterdystokie mit Plexusparese kam.

Die Klagepartei ließ vortragen, die Mutter hätte sich gegen eine Spontangeburt und für eine Sectio entschieden, wenn die Mutter über dieses Risiko aufgeklärt worden wäre. Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht verurteilte die Beklagten.

Deren Nichtzulassungsbeschwerde, die u.a. darauf gestützt wurde, dass die Mutter mehrfach bekundet habe, dass für sie nur eine Spontangeburt in Betracht komme, hatte Erfolg. Das Berufungsgericht habe zwar gesehen, dass darin der Einwand der hypothetischen Einwilligung liegt. Dem hätte es nachgehen und auf den Beweisantritt der Beklagtenseite hin den dafür benannten Arzt als Partei vernehmen oder anhören müssen.


Aus den Gründen:

"Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es verletzt diese Pflicht, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass es dem nicht nachgekommen ist. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist nur dann gegeben, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen wurde."

Darüber hinaus hatte die Nichtzulassungsbeschwerde deswegen Erfolg, weil die von der Klägerin behaupteten lebenslangen Beeinträchtigungen streitig waren. Das Landgericht hatte den Gutachter zwar beauftragt, auch diese Frage zu klären. Der Gutachter teilte jedoch mit, er sei dafür nicht kompetent und die Beantwortung dieser Beweisfrage obliege primär einem (pädiatrisch-) neurologischen/neurochirurgischen Gutachter. Ohne Einholung eines solchen Gutachtens und ohne Darlegung eigener Sachkunde nahm das Berufungsgericht die (bleibenden) Beeinträchtigungen der Klägerin an und verkannte das (auch) insoweit erfolgte Bestreiten der Beklagten.
Aus den Gründen:

"Der Tatrichter darf, wenn es wie hier um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag. Zudem muss das Gericht, wenn es bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen. Daran fehlt es hier."


Fundstelle: BeckRS 2016, 06588; GesR 2016, 351 f.