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Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Die Einwilligungsfähigkeit ist beim erwachsenen Menschen der Regelfall (OLG Dresden, Beschl. v. 07.06.2018 – 4 U 307/18)

Vor der Behandlung mit Benzodiazepinen (Tavor) ist der Patient über die Risiken und Nebenwirkungen dieser Medikation aufzuklären; einer gesonderten Aufklärung über das Suchtpotential dieser Arzneimittelgruppe bedarf es hingegen grundsätzlich nicht.

Aus den Gründen:

"Die Einwilligungsfähigkeit ist beim erwachsenen Menschen der Regelfall. Deshalb muss derjenige, der diese in Abrede stellt, sein Vorbringen beweisen (vgl. OLG München, Urteil vom 03.11.2011 – 1 U 984/11, Rn. 54, juris; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl., Rn. A 1801 m.w.N). Die Klägerin vermochte keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür darzutun, dass sie nicht dazu in der Lage gewesen wäre, in einem Aufklärungsgespräch das Für und Wider einer Fortsetzung der Medikation mit Benzodiazepinen, mit deren Einsatz zur Behandlung ihrer chronisch verlaufenden psychischen Erkrankung sie auch hinreichend vertraut war, abzuwägen und eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Hinreichende Anhaltspunkte für ein Fehlen der Einwilligungsfähigkeit der Klägerin liegen für den Zeitraum nach Beendigung des Aufenthaltes auf der Intensivstation der Beklagten nicht vor. Für den Zeitraum der Intensivmedizinischen Behandlung ist die Gabe von Benzodiazepinen als Notfallmedikament durch eine zu vermutende Einwilligung gedeckt, da die Situation mit den früheren Suizidversuchen der Klägerin identisch war.

Die Klägerin hat zudem den ihr obliegenden Beweis der Kausalität zwischen einem etwaigen Aufklärungsmangel und der behaupteten Benzodiazepinsucht als Gesundheitsschaden nicht geführt. Steht eine nicht ordnungsgemäß erfolgte Aufklärung fest, so hat der Patient darzulegen und zu beweisen, dass sein Gesundheitsschaden auf der Behandlung beruht, die mangels ordnungsgemäßer Aufklärung rechtswidrig gewesen ist. Für den Nachweis der haftungsausfüllenden Kausalität kann nach dem Beweismaß des § 287 ZPO eine überwiegende, Wahrscheinlichkeit genügen (BGH, Urteil vom 19.10.2010 – VI ZR 241/09 –, Rn. 21; OLG Hamm, Beschluss vom 18.04.2016 – 3 U 59/15 –, juris), für den Primärschaden gilt das Beweismaß des § 286 ZPO.

Vor diesem Hintergrund steht nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, dass eine Benzodiazepin-Abhängigkeit der Klägerin auf die Behandlung bei der Beklagten zurückzuführen ist."

Ansprechpartner: Dr. Götz Tacke, Partner

Fundstelle: BeckRS 2018, 16449