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Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Die Kenntnis von Tatsachen, die den Rückschluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten der Behandlerseite zulassen, lässt auch in Arzthaftungssachen die regelmäßige Verjährungsfrist beginnen (OLG Saarbrücken vom 02.07.2014)

Die Verjährungsfrist beginnt für den Patienten als medizinischen Laien zu laufen, sobald er Kenntnis von Tatsachen hat, die den Rückschluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten der Behandlerseite zulassen.

Von einer die Verjährung in Gang setzenden Kenntnis ist regelmäßig auszugehen, wenn ein Patient, der über die Ordnungsgemäßheit einer ärztlichen Behandlung zweifelt, einen Rechtsanwalt aufsucht und dieser in einem Schreiben gegenüber dem vermeintlichen Haftungsschuldner Ansprüche geltend macht.


Ansprechpartner: Anna Herzig
I. Sachverhalt

Die Antragstellerin befand sich im Jahr 2006 wegen einer Schwangerschaft in gynäkologischer Behandlung bei den Antragsgegnerinnen. Am 29.11.2006 wurde in der E-Klinik die Indikation für einen Kaiserschnitt gestellt und ein solcher noch für denselben Tag vorbereitet. Dem entgegenstehend verneinte die Antragsgegnerin zu 1) nach einer Untersuchung der Antragstellerin in ihrer Praxis, ebenfalls am 29.11.2006, die Notwendigkeit einer Sectio. Am 02.12.2006 begab sich die Antragstellerin sodann in das D-Krankenhaus, wo eine Operation eingeleitet wurde, da das Kind verstorben war.

Mit Schreiben vom 05.01.2007 machten die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin ihre Ansprüche geltend. Am 06.01.2009 erstattete die Antragstellerin Strafanzeige. Ein durch die Ermittlungsbehörde eingeholtes Gutachten lag am 14.02.2011 vor; das Ermittlungsverfahren gegen die Antragsgegnerinnen wurde jedoch eingestellt.

Die Antragstellerin begehrte sodann vor dem LG Saarbrücken die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage zur Geltendmachung von Schadensersatz, Schmerzensgeld und der Feststellung der Haftung für künftige Schäden. Der Antrag wurde unter Hinweis auf die erhobene Verjährungseinrede zurückgewiesen. Auch die sofortige Beschwerde vor dem OLG Saarbrücken blieb ohne Erfolg.

II. Aus den Gründen:

Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB grundsätzlich mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

1. Die demgemäß nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB maßgebende Kenntnis hatte die Antragstellerin bereits am 05.01.2007, als ihr Prozessbevollmächtigter erstmals Ansprüche gegenüber den Antragsgegnerinnen geltend machte.

Das OLG Saarbrücken bestätigt, dass es für die maßgebliche (positive) Kenntnis zwar nicht ausreiche, wenn dem Patienten lediglich der negative Ausgang der ärztlichen Behandlung bekannt ist, da das Ausbleiben des Erfolges ärztlicher Maßnahmen in der Eigenart der Erkrankung oder in der schuldlosen Unzulänglichkeit ärztlicher Bemühungen liegen kann. Auch muss ein Patient nicht allein aus einer erheblichen Schadensfolge auf einen Behandlungsfehler schließen. Die Verjährungsfrist beginne aber zu laufen, wenn der Patient als medizinischer Laie Kenntnis von Tatsachen erlangt hat, aus denen sich ergibt, dass der Arzt von dem üblichen ärztlichen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht getroffen hat, die nach ärztlichem Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren. Diese Kenntnis ist vorhanden, wenn die dem Anspruchsteller bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners und auf die Ursache dieses Verhaltens für den Schaden als nahe liegend erscheinen lassen und dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage – sei es in Form einer Feststellungsklage – zwar nicht risikolos, aber erfolgversprechend möglich ist.

Das OLG kommt zu dem Schluss, dass die hiernach maßgebende Kenntnis bei der Antragstellerin bereits im Januar 2007 vorlag, da sie mit Schreiben vom 05.01.2007 den entscheidenden Vorwurf der fehlerhaften Behandlung infolge unterlassener stationärer Einweisung zur Durchführung einer Sectio gegenüber den Antragsgegnerinnen erhoben hatte. Dieses Anspruchsschreiben, als Ergebnis anwaltlicher Konsultation, könne nicht anders verstanden werden, als dass auf Seiten des Patienten ausreichende Kenntnis vorlag, um den Rückschluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten der Behandlungsseite zu ziehen. Dabei sei es unerheblich, ob die Antragstellerin Kenntnis von allen fehlerhaften Handlungen oder Unterlassungen, wie vorliegend beispielsweise der unzureichenden CTG-Befundung, hatte. Auch wenn die Frage der Verjährung eines Schadensersatzanspruchs, der auf mehrere Fehler gestützt wird, grundsätzlich für jeden Fehler gesondert zu beurteilen ist, so lag im vorliegenden Fall in der unzureichenden CTG-Befundung gerade keine selbstständige Pflichtverletzung, die zu einem anderen ärztlichen Vorgehen mit anderen Beeinträchtigungen geführt hätte. Der entscheidende Vorwurf sei hier (einzig) die Nichtdurchführung einer früheren Sectio bzw. der unterlassene Hinweis auf die Notwendigkeit einer solchen gewesen.

2. Ergänzend führt das OLG Saarbrücken aus, dass auch wenn man entgegen der voranstehenden Ausführungen keine Kenntnis im Januar 2007 annehme, doch zumindest eine grob fahrlässige Unkenntnis der Antragstellerin ab ihrer Vernehmung im Ermittlungsverfahren, am 16.03.2009, vorgelegen habe. Aus den Angaben der Antragstellerin bei ihrer Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren habe sich deutlich ergeben, dass die Antragstellerin ein klares Fehlverhalten der Antragsgegnerinnen annahm und dies gerade auf das Zuwarten (mit der Sectio) stützte. Bei einer derartigen Annahme nicht auf ein Abweichen von ärztlichen Standards zu schließen sei jedoch, laut OLG, grob fahrlässig.

Der Anspruch, der dem Prozesskostenhilfeantrag zugrunde lag, war somit verjährt.


Fundstelle: OLG Saarbrücken, Beschluss v. 02.07.2014 - 1 W 37/13 (= GesR 2014, 559)