Menu

Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Hinweispflicht des Berufungsgerichts (BGH, Beschl. v. 29.05.2018 - VI ZR 370/17)

Der in erster Instanz siegreiche Berufungsbeklagte darf darauf vertrauen, nicht nur rechtzeitig darauf hingewiesen zu werden, dass und aufgrund welcher Erwägungen das Berufungsgericht der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will, sondern dann auch Gelegenheit zu erhalten, seinen Tatsachenvortrag sachdienlich zu ergänzen oder weiteren Beweis anzutreten.

Aus den Gründen:

"Nach ständiger Rechtsprechung darf der in erster Instanz siegreiche Berufungsbeklagte darauf vertrauen, nicht nur rechtzeitig darauf hingewiesen zu werden, dass und aufgrund welcher Erwägungen das Berufungsgericht der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will, sondern dann auch Gelegenheit zu erhalten, seinen Tatsachenvortrag sachdienlich zu ergänzen oder weiteren Beweis anzutreten (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Juni 2003 - 1 BvR 2285/02, NJW 2003, 2524; vom 7. Oktober 2016 - 2 BvR 1313/16, juris Rn. 11; BGH, Urteil vom 9. Oktober 2009 - V ZR 178/08, NJW 2010, 363, 365 mwN).

Das Gericht muss sachdienlichen Vortrag der Partei auf einen nach der Prozesslage gebotenen Hinweis nach § 139 ZPO zulassen. Die Hinweispflicht des Berufungsgerichts und die Berücksichtigung neuen Vorbringens gehören insoweit zusammen, woran auch die Vorschrift des § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO, die die Zulässigkeit neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel in der Berufungsinstanz einschränkt, nichts geändert hat. Die Hinweispflicht auf eine von der ersten Instanz abweichende Beurteilung liefe leer, wenn ein von dem Berufungsbeklagten darauf vorgebrachtes entscheidungserhebliches Vorbringen bei der Entscheidung über das Rechtsmittel unberücksichtigt bliebe.

Neues Vorbringen des Berufungsbeklagten, das auf einen solchen Hinweis des Berufungsgerichts erfolgt und den Prozessverlust wegen einer von der ersten Instanz abweichenden rechtlichen oder tatsächlichen Beurteilung durch das Berufungsgericht vermeiden soll, ist zuzulassen, ohne dass es darauf ankommt, ob es schon in erster Instanz hätte vorgebracht werden können (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 7. Oktober 2016 - 2 BvR 1313/16, juris Rn. 11; BGH, Urteil vom 9. Oktober 2009 - V ZR 178/08, NJW 2010, 363, 365 mwN).

(BGH Beschl. v. 29.5.2018 – VI ZR 370/17, BeckRS 2018, 14252, beck-online)"

Anmerkung:

Der Bundesgerichtshof bestätigt seine bisherige Rechtsprechung und diejenige des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Parteien vor "Überraschungsentscheidungen".

Ansprechpartner: Dr. Götz Tacke, Partner

Fundstelle: VersR 2018, 1001 ff.