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Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Neue Ausführungen des Sachverständigen in der letzten mündlichen Verhandlung (BGH, Beschluss vom 30.11.2010)

Nimmt der Sachverständige bei seiner Anhörung in der letzten mündlichen Verhandlung neue Ausführungen und Beurteilungen vor, so ist den Parteien unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Auch Ausführungen in nicht nachgelassenen Schriftsätzen sind zur Kenntnis zu nehmen. Bei entsprechendem Anlass zur Aufklärung des Parteivortrags ist die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.

Ansprechpartner: Nicole Tassarek-Schröder

Dieser Entscheidung des BGH lag ein Geburtsschaden zugrunde. Der Rechtsstreit erstreckte sich bereits über mehrere Jahre, fünf Sachverständige wurden angehört und acht Zeugen vernommen. In der letzten mündlichen Verhandlung vor dem OLG führte einer der Sachverständigen erstmals mündlich aus, dass die Mutter der Klägerin bei der Notsectio fehlerhaft gelagert worden sei. Diese Ausführungen durfte das OLG nicht, wie geschehen, ohne weiteres als bewiesen ansehen und seine Entscheidung hierauf stützen. Es hätte die Beklagte vielmehr gemäß § 139 ZPO auf diesen neuen Gesichtspunkt hinweisen und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen.
Das OLG hätte jedenfalls die mündliche Verhandlung wiedereröffnen müssen, nachdem die Beklagte im nachgereichten Schriftsatz die fehlerhafte Lagerung unter Beweisantritt bestritten hat. Denn nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 13.02.2001, VI ZR 272/99, MDR 2001, 567 = VersR 2001, 722 f.) ist unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs auch der Behandlungsseite Gelegenheit zu geben, nochmals Stellung zu nehmen, wenn der medizinische Sachverständige in seinen mündlichen Ausführungen neue und ausführlichere Beurteilungen ggü. dem bisherigen Gutachten abgegeben. hat.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hatte demgemäß Erfolg und führte gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.


Fundstelle: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.11.2010 - VI ZR 25/09 = GesR 2011, 98