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Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Schmerzensgeld nach OP ohne Einwilligung (BGH, Urt. v. 22.03.2016 - VI ZR 467/14).

Hat eine – mangels wirksamer Einwilligung – rechtswidrig ausgeführte Operation zu einer Gesundheitsbeschädigung des Patienten geführt, so ist es Sache der Behandlungsseite zu beweisen, dass der Patient ohne den rechtswidrig ausgeführten Eingriff dieselben Beschwerden haben würde, weil sich das Grundleiden in mindestens ähnlicher Weise ausgewirkt haben würde.

Ansprechpartner: Dr. Götz Tacke, Partner

Die Beklagten hatten bei einem - während des Rechtsstreits verstorbenen - Mädchen einen gutartigen Hirntumor teilweise entfernt. Es verblieb eine Hemiparese rechts. Postoperativ nahmen die zystischen Tumoranteile stark zu und wurde das Kind erneut operiert. Der Operateur setzte sich dabei über die erklärte Einwilligung, die nur die Fensterung der Zyste (Drainierung) betraf, hinweg und entfernte den Tumor vollständig. Das Mädchen erlitt durch die Operation schwere Nerven- und Gefäßverletzungen und litt bis zu ihrem Tod unter einer schweren Tetraplegie mit fast vollständiger Lähmung, Fehlstellungen der Hand- und Fußgelenke und einer Schluckstörung. Sie war blind und konnte nicht sprechen.

Die Beklagten wurden u.a. zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von € 50.000,00 an die Erben des Kindes verurteilt. Das Berufungsgericht stellte fest, das Fehlen der elterlichen Einwilligung habe die Tumorresektion zwar rechtswidrig gemacht, sei aber noch nicht ohne Weiteres haftungsbegründend. Einstandspflichtig seien die Ärzte nur insoweit, als die Schädigung über die Beeinträchtigungen hinausreiche, die ohne die Resektion vorgelegen hätten. Unsicherheiten wirkten sich zu Lasten der beweispflichtigen Klagepartei aus. Dieser obliege es, darzutun und zu beweisen, dass die Resektion condicio sine qua non für die geltend gemachten Schäden gewesen sei. Von daher sei der tatsächlichen, von Erblindung und Lähmung gekennzeichneten Schädigung eine Entwicklung gegenüberzustellen, wie sie die Sachverständige für den ungünstigsten, nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließenden Fall beschrieben habe. Insofern müsse man davon ausgehen, dass es lediglich zu einer Verzögerung im Schadensverlauf gekommen wäre, weswegen nur ein reduziertes Schmerzensgeld zugesprochen werden könne.

Diese Auffassung hält der rechtlichen Überprüfung durch den Bundesgerichtshof nicht stand.

Aus den Gründen:

"Hat eine rechtswidrig ausgeführte Operation zu einer Gesundheitsbeschädigung des Patienten geführt, so ist es Sache des beklagten Arztes zu beweisen, dass der Patient ohne den rechtswidrig ausgeführten Eingriff dieselben Beschwerden haben würde, weil sich das Grundleiden in mindestens ähnlicher Weise ausgewirkt haben würde. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, wonach der Schädiger zu beweisen hat, dass sich ein hypothetischer Kausalverlauf bzw. eine Reserveursache ebenso ausgewirkt haben würde wie der tatsächliche Geschehensablauf. Das hat das BerGer. verkannt. Rechtsfehlerhaft hat es den Kl. den Beweis dafür auferlegt, dass eine Fensterung der Zyste nicht zu denselben Beeinträchtigungen geführt hätte, wie die tatsächlich durchgeführte rechtswidrige Operation. Richtigerweise trägt insoweit die Bekl. die Darlegungs- und Beweislast."


Fundstelle: NJW 2016, 3522; BeckRS 2016,07597