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Beiträge und Entscheidungen/ Arzthaftungsrecht

Zu den Anforderungen an das Zeugnisverweigerungsrecht eines Arztes nach Versterben des Patienten im Schadensersatzprozess gegen die Krankenkasse (OLG München, Beschl. v. 18.03.2011).

Der 1. Zivilsenat des OLG München verneinte im konkreten Fall ein Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes mit folgender Begründung:
"Die ärztliche Schweigepflicht reicht auch über den Tod des Patienten hinaus. Fehlt es an einer Willenserklärung des verstorbenen Patienten zu Lebzeiten, so ist der mutmaßliche Wille des Verstorbenen zu erforschen. Geht ein mutmaßlicher Wille des Verstorbenen eindeutig dahin, dass er unter Berücksichtigung seines wohlverstandenen Interesses auf eine weitere Geheimhaltung verzichten würde, so steht dem Zeugen ein Verweigerungsrecht aus § 385 Abs. 2 ZPO nicht zu (vgl. dazu BayObLG v. 21.8.1986 - BReg. 1 Z 34/86, MDR 1987, 66 = FamRZ 1986, 1238 = NJW 1987, 1492).
Die Entscheidung, ob der Patient den Arzt mutmaßlich von der Schweigepflicht entbunden hätte, obliegt nach der Rechtsprechung des BGH dem Arzt. Der Arzt kann und muss auch gegenüber nahen Angehörigen und gegebenenfalls auch gegenüber der Krankenkasse des Verstorbenen die Aussage verweigern, soweit er sich bei gewissenhafter Prüfung seiner gegenüber dem Verstorbenen fortwirkenden Verschwiegenheitspflicht an der Preisgabe gehindert sieht. Sofern von der ärztlichen Schweigepflicht her ernstliche Bedenken gegen die Offenbarung der der ärztlichen Schweigepflicht unterliegenden Tatsachen bestehen, kommt der Wahrung des Arztgeheimnisses der Vorrang zu. Der Arzt hat aber gewissenhaft zu prüfen, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Verstorbene die vollständige oder teilweise Offenlegung des Behandlungsgeschehens gegenüber seinen Hinterbliebenen bzw. Erben bzw. seiner Krankenkasse mutmaßlich missbilligt haben würde. Bei der Erforschung dieses mutmaßlichen Willens des verstobenen Patienten spielt auch das Anliegen der die Auskünfte bzw. die Aussage begehrenden Personen eine entscheidende Rolle.Es spricht einiges dafür, dass ein Patient sich dem Anliegen der Verfolgung von Behandlungsfehlern nicht verschlossen haben würde. Dies gilt nach Auffassung des Senats unabhängig davon, ob etwaige Ansprüche wegen Behandlungsfehlern von der Krankenkasse oder von nahen Angehörigen geltend gemacht werden.Es ist in der Regel davon auszugehen, dass die Entbindung von der Schweigepflicht dem mutmaßlichen Willen des verstorbenen Patienten entspricht, wenn die Entbindung die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen wegen Behandlungsfehlern erleichtert oder gar erst ermöglicht. Dies gilt auch dann, wenn von nachbehandelnden Ärzten Auskünfte begehrt werden, die zur Aufklärung eines Behandlungsfehlers eines anderen Arztes benötigt werden.
Von dem Arzt, der sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht wegen fehlender Entbindung von der Schweigepflicht beruft, kann zwar nicht verlangt werden, dass er seine Gründe ausführlich und detailliert darlegt, da dies möglicherweise die Preisgabe schutzbedürftiger Geheimnisse bedingen würde, er muss sich jedoch bewusst sein, dass er das Zeugnis nur verweigern darf, wenn gegen seine Aussage von seiner Schweigepflicht her mindestens vertretbare Bedenken bestehen können. Um der Gefahr zu begegnen, dass der Arzt aus unsachlichen Gründen sich auf die Schweigepflicht beruft, muss der Arzt zumindest darlegen, unter welchen allgemeinen Gesichtspunkten er sich durch die Schweigepflicht an einer Aussage gehindert sieht, d.h. eine Weigerung muss er auf konkrete oder mutmaßliche Belange des Verstorbenen stützen.Sofern die von dem Arzt in diesem Rahmen angeführten Gründe nicht nachvollzogen werden können und eine Weigerung nicht rechtfertigen können, ist daher von einer mutmaßlichen Einwilligung zur Entbindung der ärztlichen Schweigepflicht auszugehen(vgl. BGH v. 31.5.1983 - VI ZR 259/81, MDR 1984, 132 = FamRZ 1983, 1098 = NJW 1983, 2627; OLG München, MedR 2009, 49)."
Ansprechpartner: Dr. Götz Tacke, Partner
Fundstelle: GesR 2011, 674 ff.