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Allgemeine Haftungsfragen

Keine Berücksichtigung einer freiwilligen Haftpflichtversicherung bei der Bewertung von Billigkeitsgründen nach § 829 BGB (BGH v. 29.11.2016)

Bei einem Anspruch aus § 829 BGB sind insbesondere die Verhältnisse der Beteiligten zu berücksichtigen. Dazu bedarf es stets eines Vergleichs der Vermögenslagen der Beteiligten, wobei für einen Anspruch aus § 829 BGB ein "wirtschaftliches Gefälle" zugunsten des Schädigers vorliegen muss. Die Billigkeit erfordert es nicht, dem Bestehen einer freiwilligen Haftpflichtversicherung ungeachtet des Trennungsprinzips eine anspruchsbegründende Bedeutung zukommen zu lassen.

Ansprechpartner: Dr. Frank Zentz, LL.M. (Emory)

Der Kläger begründet seinen Schmerzensgeldanspruch wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung damit, dass der Beklagte am 24.12.2011 am Hauptbahnhof Hannover in das Gleisbett vor den vom Kläger gesteuerten, abfahrenden IC gesprungen ist. Der Beklagte war zu diesem Zeitpunkt seit längerem ernsthaft psychiatrisch erkrankt und befand sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit (§ 827 BGB). Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Auch vor dem BGH dringt der Kläger nicht durch.

Im Rahmen des Anspruchs aus § 829 BGB sind insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien zu berücksichtigen, die stets eines Vergleichs der Vermögenslagen erfordern. Als Anspruchsvoraussetzung muss ein „wirtschaftliches Gefälle“ zu Gunsten des Schädigers vorliegen. Dass der Schädiger eine freiwillige Haftpflichtversicherung unterhält, ist danach kein für die Bewertung der Vermögenslage des Schädigers relevanter Umstand.

Im Gegensatz zu einer Pflichtversicherung, wie beispielsweise der Kfz-Pflichthaftversicherung, ist eine freiwillige Haftpflichtversicherung nach Auffassung des BGH nicht in erster Linie auf den Schutz des Geschädigten ausgerichtet. Diese besondere Zweckbestimmung der Pflichthaftpflichtversicherung rechtfertige, so der BGH, im Rahmen des § 829 BGB die Durchbrechung des Trennungsprinzips, „demzufolge die Eintrittspflicht des Versicherers der Haftung folgt und nicht umgekehrt die Haftung der Versicherung“. In diesem Zusammenhang führt der BGH weiter aus, dass „das Bestehen einer freiwilligen Haftpflichtversicherung (…) die Durchbrechung des Trennungsprinzips hingegen grundsätzlich nicht“ rechtfertigt und daher auch im Rahmen des § 829 BGB „nicht anspruchsbegründend wirken“ kann.

Da, anders als bei der Pflichtversicherung (vgl. § 115 VVG, z.B. KfZ- Haftpflichtversicherung), ein gesetzlicher Direktanspruch des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer nicht besteht, verneint der BGH nach wie vor einen Funktionswandel dergestalt, „dass auch die freiwillige Haftpflichtversicherung nicht mehr in erster Linie dem Schutz des Versicherten, sondern dem des Geschädigten dienen würde.“ Weiter führt der BGH aus: „Die Pflicht des Versicherers, den Versicherungsnehmer von begründeten Haftpflichtansprüchen freizustellen und unbegründete Ansprüche abzuwehren (§ 100 VVG), folgt nach wie vor dem Grundsatz, dass der Freistellungsanspruch eine Haftung des Schädigers voraussetzt und die Haftpflichtversicherung nicht dazu bestimmt ist, eine Haftung des Schädigers gegen den Geschädigten erst zu begründen. Das Risiko, dass der Versicherungsnehmer oder Versicherte einen Schaden herbeiführt, für den er nicht verantwortlich ist, ist grundsätzlich nicht versichert. Besteht aber kein Versicherungsschutz, kann dieser auch keinen in den Vergleich der Vermögenslagen einzubeziehenden Vermögenswert des Schädigers darstellen. Jedenfalls erfordert es die Billigkeit nicht, dem Bestehen einer freiwilligen Haftpflichtversicherung für die Frage des ‚Ob‘ der Haftung ungeachtet des Trennungsprinzips eine maßgebliche Bedeutung zukommen zu lassen. Das gilt erst recht dann, wenn die anderweitigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten eine Haftung nach § 829 BGB nichtrechtfertigen oder ihr sogar entgegenstehen würde."

Fundstelle: BGH, Urteil vom 29.11.2016 - VI ZR 606/15 = BeckRS 2016, 111582