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Allgemeine Haftungsfragen

Zur Verkehrssicherungspflicht des Bauunternehmers im Obergeschoss eines Rohbaus (OLG Koblenz vom 05.03.2014)

In das Obergeschoss eines Rohbaus ohne Innentreppen ist in Zeiten der Arbeitsruhe kein Verkehr eröffnet, den der Bauunternehmer sichern müsste. Das gilt auch dann, wenn das Obergeschoss durch Hochklettern an einem Außengerüst erreichbar ist (hier: Bauherr klettert über das Gerüst bis zum Obergeschoss und stürzt im Inneren durch die nicht gesicherten Treppenöffnungen in den Keller)

Ansprechpartner: Dr. Frank Zentz, LL.M. (Emory)

Der klagende Bauherr nimmt die Baufirma als Hauptunternehmerin eines Bauvertrages, in dessen Rahmen sie einen Rohbau auf dem Grundstück des Klägers errichtet hatte, auf Schadensersatz wegen eines Baustellenunfalls in Anspruch. Am Unfalltag waren die Treppenöffnungen im Rohbau nicht gesichert; der Einbau der Treppen war noch nicht erfolgt, so dass ein durchgehender offener Treppenschacht zwischen Obergeschoss und Keller vorhanden ist. Der Rohbau war eingerüstet; eine innere Gerüstleiter, über die man von ebener Erde auf die erste Gerüstebene hätte steigen können, war nicht vorhanden. Der Kläger klettert an einer senkrechten Gerüststange nach oben, betritt das Obergeschoss über eine Fensteröffnung und gelangt in das Innere des Gebäudes. Von dort aus stürzt er über den Treppenschacht in den Keller und zieht sich schwerste Verletzungen zu. Die Baufirma ist der Auffassung, dass sie habe nicht damit rechnen müssen, dass der Kläger über das (gesicherte) Gerüst in das Obergeschoss klettert und zudem noch den als offen erkennbaren Treppenschacht übersieht. Das OLG weist die Klage ab. Aus den Gründen:

Es fehlt nämlich an einer haftungsrelevanten Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagten. Sowohl für eine vertragliche als auch für eine deliktische Haftung der Beklagten wäre erforderlich, dass sie bei der Baustellensicherung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hätten (§ 276 Abs. 2 Satz 1 BGB). Das war mit Blickrichtung auf den Kläger hinsichtlich der fehlenden Absicherung der Treppenöffnung im Obergeschoss am Unfalltag nicht der Fall. (…) Streitentscheidend ist allein, dass die Beklagten am Unfalltag keinen Verkehr in das Obergeschoss eröffnet oder geduldet hatten und demzufolge auch keine Maßnahmen zu seiner Sicherung schuldeten. Ebenso wenig waren - bei fehlender Verkehrseröffnung - Sicherungsmaßnahmen im Obergeschoss deshalb geboten, weil die Beklagten mit dem Zutritt Unbefugter, erst recht jedoch Befugter rechnen und gegen deren Schädigung Vorkehrungen treffen mussten. (…) Mithin konnte man auf die erste Gerüstebene und von dort auf die darüber liegende Ebene und in das Obergeschoss nur gelangen, indem man an den senkrechten Gerüststangen empor kletterte. Mit etwas derart Ungewöhnlichem mussten die Beklagten aber nicht rechnen und demzufolge auch keine Sicherungsvorkehrungen für den Fall treffen, dass jemand gleichwohl auf diesem Weg in das Obergeschoss gelangte.

Fundstelle: OLG Koblenz, Urteil vom 05.03.2014 - 5 U 1090/13 = BauR 2014, 1019