Haftung des Bauherrn
Sittenwidrigkeit der Vergütungsbestimmung für die im Vertrag nicht vorgesehene Bauleistungen (BGH vom 07.03.2013)Steht die
nach § 2 Abs. 6 Nr. 2 VOB/B zu bestimmende Vergütung für im Vertrag nicht
vorgesehene Leistungen, die zur Ausführung der vertraglichen Leistung
erforderlich werden, in einem auffälligen, wucherähnlichen Missverhältnis zu
diesen Leistungen, kann die der Preisbildung zugrunde liegende Vereinbarung
sittenwidrig und damit nichtig sein.
Ansprechpartner: Dr. Frank Zentz, LL.M. (Emory)
Die Klägerin,
die von der Beklagten im Rahmen der Sanierung eines Krankenhauses unter
Vereinbarung der VOB/B 200 mit Trockenbauarbeiten beauftragt worden war, macht
Restwerklohn geltend. Im Leistungsverzeichnis des Einheitspreisvertrages sind
unter anderem 50 Wanddurchführungen zu einem Preis pro Stück von € 67,99
enthalten. In ihrer Schlussrechnung rechnet die Klägerin insgesamt 4.725 Stück (durchgeführte)
Wanddurchführungen zu je € 65,50 pro
Stück ab und fordert € 359.005 brutto (4.725 x € 65,50 zuzüglich 16% Umsatzsteuer). Der vom
Sachverständigen ermittelte ortsübliche und angemessene Preis für rechteckige
Ausschnitte beträgt € 45.549 (4.725 x € 9,64
brutto).
Nach der Rechtsprechung
des BGH besteht der geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht, wenn die
Vereinbarung, auf der Grundlage des in der streitgegenständlichen Position vereinbarten
Einheitspreises eine Vergütung nach den Grundlagen der Preisermittlung für die
vertragliche Leistung und den besonderen Kosten der geforderten Leistung zu
bestimmen, sittenwidrig und nichtig ist, § 138 Abs. 1 BGB. Das kommt vorliegend
in Betracht.
Aus den
Gründen:
„(…) Der
Senat hat bereits entschieden, dass die Prüfung der Sittenwidrigkeit auf die
Vereinbarung einzelner Einheitspreise und auch auf die Vereinbarung der
Preisbildung für den Fall der Mengenmehrung beschränkt werden kann. Denn diese
Vereinbarungen bilden Teile des Rechtsgeschäfts, deren Sittenwidrigkeit
unabhängig davon beurteilt werden kann, ob die sonstigen Regelungen des
Rechtsgeschäfts sittenwidrig sind. Bei der Beurteilung kommt es maßgeblich
darauf an, welcher Preis im Vertrag vereinbart ist und wie sich dieser Preis
auf die neue Vergütung auswirkt (…). In der Rechtsprechung ist es anerkannt,
dass die Vereinbarung eines Preises gemäß § 138 Absatz 1 BGB sittenwidrig sein
kann, wenn der Preis in einem auffälligen Missverhältnis zur Gegenleistung
steht. Dafür erforderlich ist sowohl ein objektiv auffälliges, wucherähnliches
Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung als auch das Hinzutreten
subjektiver Umstände, wie zum Beispiel das Zutagetreten einer verwerflichen
Gesinnung des Begünstigten (…).
Hiervon
ausgehend hat der Senat angenommen, jedenfalls eine entweder auf § 2 Nr. 3 oder
§ 2 Nr. 5 VOB/B gegründete Vereinbarung der Parteien, für Mehrmengen eine (im
Vergleich zum üblichen und angemessenen Preis) um mehr als das Achthundertfache
und damit außerordentlich überhöhte Vergütung festzulegen, begründe die
Vermutung, ihr liege ein sittlich verwerfliches Gewinnstreben des
Auftragnehmers zugrunde. Diese Vermutung gründet sich auf die Besonderheiten
des Bauvertrages. Die Vereinbarung eines außerordentlich überhöhten Preises für
Mehrmengen fußt auf der Vereinbarung eines außerordentlich überhöhten
Einheitspreises in der dem Preisanpassungsverlangen zugrunde liegenden Position
des Leistungsverzeichnisses. Regelmäßig beruht die Vereinbarung dieses
Einheitspreises auf einem entsprechenden Angebot des Auftragnehmers, dem das
Leistungsverzeichnis zum Zwecke der Bepreisung übergeben worden ist. In dem
Fall, dass der Auftragnehmer in einer Position des Leistungsverzeichnisses
einen außerordentlich überhöhten Einheitspreis angegeben hat, besteht die
widerlegbare Vermutung, dass er in dieser Position auf eine Mengenmehrung hofft
und durch Preisfortschreibung auch für diese Mengenmehrung einen
außerordentlich überhöhten Preis erzielen will. Die vertragsuntypische
Spekulation des Auftragnehmers durch Einsatz deutlich überhöhter Einheitspreise
ist regelmäßig mit der Erwartung verbunden, einen außerordentlichen Gewinn zu
erzielen, der andererseits zu nicht eingeplanten Mehrkosten bei dem
Auftraggeber führt, denen kein entsprechender Gegenwert gegenübersteht. (…).
Vergleichbares
gilt für die Vereinbarung einer Vergütung für im Vertrag nicht vorgesehene
Leistungen, die zur Ausführung der vertraglichen Leistung erforderlich werden
(§ 1 Nr. 4 Satz 1, § 2 Nr. 6 Abs. 2, Nr. 8 Abs. 2 VOB/B). (…)
Der Senat
hat es in seinem Urteil vom 18. Dezember 2008 (VII ZR 201/06, aaO) für
unerheblich gehalten, ob das auffällige Missverhältnis zwischen neu ermitteltem
Preis und Gegenleistung auf einer Mengenmehrung im Sinne von § 2 Nr. 3 Abs. 2
VOB/B oder einer Änderung des Bauentwurfs oder anderen Anordnungen im Sinne von
§ 2 Nr. 5 VOB/B beruht. Mit der Möglichkeit des Eintritts jeder der Varianten
rechnen die Parteien eines Bauvertrages von vorherein, was sich an der
entsprechenden vorsorglichen Vereinbarung der Vergütung zeigt. Deshalb ist auch
die Annahme der Vermutung gerechtfertigt, ein sittlich verwerfliches
Gewinnstreben liege der Preisbildung zugrunde, wenn sie zu einem
außerordentlich überhöhten Preis führt. Gleiches gilt für die (vorsorgliche)
Vereinbarung der Vergütung für (bisher) im Vertrag nicht vorgesehene, aber
erforderliche Leistungen. Auch mit der Möglichkeit einer derartigen Änderung
rechnen die Parteien eines Bauvertrages aufgrund der allgemeinen Erfahrungen
von vornherein, weshalb sie mit der VOB/B hierfür ebenfalls bereits eine
Vergütungsvereinbarung treffen. (…)
Der für die
zusätzlichen Leistungen geforderte, nach § 2 Nr. 6 Abs. 2 VOB/B berechnete
Preis beträgt 359.005 € brutto (4.725 x 65,50 € zuzüglich 16 % Umsatzsteuer).
Der vom Sachverständigen ermittelte ortsübliche und angemessene Preis für
rechteckige Ausschnitte beträgt 45.549 € (4.725 x 9,64 € brutto). Der geltend
gemachte Preis beträgt damit nahezu das Achtfache des üblichen Preises. Ein
solches Verhältnis stellt auch unter Berücksichtigung von gewissen Schwankungen
zwischen einzelnen Einheitspreisen im Vergleich zu üblichen Preisen, die sich
bei den ursprünglich ausgeschriebenen Mengen häufig ausgleichen werden, ein
auffälliges Missverhältnis dar. Dieses ist auch wucherähnlich. Für diese
Feststellung bedarf es allerdings einer zusätzlichen Kontrolle, ob der aufgrund
dieses auffälligen Missverhältnisses über das übliche Maß hinausgehende
Preisanteil sowohl absolut gesehen als auch im Vergleich zu Gesamtauftragssumme
in einer Weise erheblich ist, dass dies von der Rechtsordnung nicht mehr
hingenommen werden kann. Denn obwohl die einzelne Preisermittlungsregelung für
sich genommen an dem Maßstab der Sittenwidrigkeit zu messen ist, kann von einer
wucherähnlichen Auswirkung nur gesprochen werden, wenn der Werklohn insgesamt
in nennenswerter Weise beeinflusst wird, die zugleich auch die Vermutung
sittlich verwerflichen Gewinnstrebens trägt. Dabei kommt in Betracht, dass je
größer der absolute Betrag ist, desto kleiner die relative Überschreitung sein
kann, bis zu der die Auswirkungen noch hingenommen werden können. Hier beträgt
die absolute Überschreitung des Preises 313.456 €, das sind nahezu 39 % der
Gesamtabrechnungssumme bei Ansatz der üblichen Preise (1.125.000 € - 313.456 €
= 811.544 €). Beide Werte sind jedenfalls ausreichend erheblich, ohne dass
feste Grenzwerte bestimmt werden müssten. (…)
Das
auffällige und wucherähnliche Missverhältnis begründet die Vermutung, der
Auftraggeber solle aus sittlich verwerflichem Gewinnstreben übervorteilt
werden. Diese Vermutung ist widerlegbar. (…) Der Senat kann in der Sache nicht
abschließend entscheiden. (…)
Fundstelle: BGH, Urteil vom 07.03.2013 - VII ZR 68/10