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Beiträge und Entscheidungen/ Haftpflichtrecht

Anspruchskürzung wegen mitwirkender Tiergefahr des eigenen Hundes bei Biss durch fremden Hund (BGH, Urteil vom 31.05.2016)

Kommt es zu einem Gerangel zwischen zwei Hunden, in dessen Rahmen der Halter des einen Hundes von dem anderen Hund gebissen wird, so ist die typische Tiergefahr des Hundes des Geschädigten bei der Schadensentstehung adäquat mitursächlich geworden. Dies muss sich der Geschädigte entsprechend § 254 Abs. 1, § 833 Satz 1 BGB mindernd auf seinen Anspruch aus § 833 Satz 1 BGB anrechnen lassen.


Ansprechpartner: Dr. Götz Tacke, Partner

Bei einem Gerangel und einem Kampf zwischen dem eigenen und einem fremden Hund wurde der Kläger von dem Hund der Beklagten gebissen und trug blutende Wunden sowie Beschädigung der Kleidung und der Brille des davon.

Das Berufungsgericht gab der Klage statt, da sich der Kläger kein eigenes Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen müsse. Er habe keine bewussten Handlungen dahingehend unternommen, in den Streit zwischen den Hunden einzugreifen, diese zu trennen oder den Angriff des Hundes der Beklagten auf seinen Hund abzuwehren. Er müsse sich ferner nicht die Tiergefahr seines Hundes analog § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen. Auch wenn der Hund der Beklagten höchstwahrscheinlich nicht auf den Kläger losgegangen wäre, wenn dieser ohne Hund unterwegs gewesen wäre, stelle allein der Umstand, dass der Kläger seinen Hund angeleint bei sich geführt habe, keinen dem Kläger zurechenbaren Verursachungsbeitrag für den durch das aggressive Verhalten des Hundes der Beklagten entstandenen Schaden dar. Allein die Tatsache, dass der Hund des Klägers ein Hund sei, begründe keine Mithaftung des Klägers.

Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sich der Klägerim Rahmen der Tierhalterhaftung(anders, wenn auch § 823 Abs. 1 BGB erfüllt wäre) der Beklagten die von seinem Hund ausgehende Tiergefahr nicht analog § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen müsse.

Aus den Gründen:

"Ist für die Entstehung eines Schadens auch die Tiergefahr des eigenen Tieres des Geschädigten mitursächlich, so muss sich der Geschädigte dies entsprechend § 254 Abs. 1, § 833 Satz 1 BGB mindernd auf seinen Anspruch aus § 833 Satz 1 BGB anrechnen lassen. Voraussetzung ist, dass die typische Tiergefahr des Tieres des Geschädigten bei der Schadensentstehung adäquat mitursächlich geworden ist. Eine typische Tiergefahr äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbständigen Verhalten. An der Verwirklichung der Tiergefahr fehlt es insbesondere dann, wenn keinerlei eigene Energie des Tieres an dem Geschehen beteiligt ist oder wenn das Tier lediglich der Leitung und dem Willen eines Menschen folgt . Demgegenüber können bereits von einem Tier ausgehende und auf ein anderes Tier einwirkende Reize eine für einen Schaden mitursächliche Tiergefahr darstellen."

"Für die entsprechend § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmende Abwägung der Verursachungsbeiträge der beiden Tierhalter kommt es sodann darauf an, mit welchem Gewicht konkret sich das in den Tieren jeweils verkörperte Gefahrenpotential in der Schädigung manifestiert hat. Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen dessen rechtliche Beurteilung, die Tiergefahr des Labrador-Mischlings stelle keinen dem Kläger zurechenbaren Verursachungsbeitrag für die Schadensentstehung dar, nicht. Dabei kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen es das rein passive Verhalten eines Tieres ausschließen würde, von einer bei der Entstehung des Schadens mitwirkenden Tiergefahr auszugehen. Denn in der Situation, in der der Kläger von dem Hund der Beklagten gebissen wurde, beschränkte sich die Rolle des Hundes des Klägers entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht darauf, ein an der Leine geführter Hund zu sein. Vielmehr fand nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ein Gerangel und ein Kampf zwischen den Hunden statt, von dem sich der zwischen den Hunden stehende Kläger nicht entfernen konnte, und in dessen Verlauf er von dem Hund der Beklagten gebissen wurde. Das Gerangel war eine Interaktion zwischen den beiden Hunden, die ihrer tierischen Natur entsprechend aufeinander eingewirkt haben, bis es schließlich zu der Schädigung des Klägers kam. Damit hat sich in der Bissverletzung die von beiden Hunden ausgehende Tiergefahr adäquat mitursächlich verwirklicht. Für die Begründung der Mithaftung des Klägers als solcher ist nicht von Bedeutung, was Auslöser des Gerangels war und welcher der beiden Hunde in dem Geschehen eine über- oder untergeordnete Rolle einnahm. Diese Umstände können allerdings bei der Bildung der Haftungsquoten von Bedeutung sein."


Fundstelle: BGH, Urteil vom 31.05.2016 - VI ZR 465/15 = BeckRS 2016, 12618