Menu

Beiträge und Entscheidungen/ Medizinrecht

Folgen eines nichtigen Heil- und Kostenplans, BGH, Urt.v. 03.11.2016

Bei einem formnichtigen Heil- und Kostenplan steht der Schutzzweck des§ 2 Abs. 3 Satz 1 GOZ, den Zahlungspflichtigen über die geplanten Leistungen und die voraussichtlich entstehenden Kosten zuverlässig zu informieren und ihn von einer unüberlegten und übereilten Honorarvereinbarung abzuhalten, Ansprüchen des behandelnden Zahnarztes aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigter Bereicherung entgegen.


Ansprechpartner: Christian Koller, Partner

Eine Zahnärztin verklagte ihre Patientin auf Zahlung des Eigenanteils für zahnprothetische Leistungen.

Nachdem die beklagte Patientin sich am 03.09.2012 erstmals in der Praxis der Klägerin zur Zahnbehandlung vorgestellt hatte, erstellte diese unter dem 13.09.2012 zwei Heil- und Kostenpläne. Ein Plan hatte die Erbringung reiner kassenzahnärztlicher Leistungen (ohne Eigenanteil) zum Gegenstand, während der andere Plan zusätzliche, zahnmedizinisch nicht notwendige Arbeiten (mehrflächige Keramikverblendung sowie eine keramikverblendete Krone mit Geschiebe als Halterung) vorsah und in der Anlage einen voraussichtlichen Eigenanteil in Höhe von 6.838,52 € auswies. Die Beklagte, die von einer Praxismitarbeiterin darauf hingewiesen wurde, dass sie ihr Einverständnis zu der Behandlung schriftlich erklären müsse, nahm beide Pläne mit nach Hause und reichte schließlich den einen Eigenanteil ausweisenden Heil- und Kostenplan bei ihrer Krankenversicherung zur Genehmigung ein. Den mit dem Genehmigungsvermerk versehenen Plan gab sie sodann an die Klägerin zurück, ohne jedoch die in dem Planformular und der beigefügten Anlage vorgesehene Unterschrift zu leisten. Die fehlende Unterschrift wurde von den Praxismitarbeitern nicht bemerkt. Ab dem 21.11.2012 erbrachte die Klägerin die vereinbarten zahnprothetischen Leistungen und verlangte mit Rechnung vom 31.12.2012 einen auf die Beklagte entfallenden Eigenanteil in Höhe von 3.860,30 €. Die beklagte Patientin zahlte nicht und berief sich darauf, dass hinsichtlich eines von ihr zu tragenden Eigenanteils keine schriftliche Vereinbarung getroffen worden sei.

Der BGH sprach der Zahnärztin einen vertraglichen Anspruch aus § 611 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem genehmigten Heil- und Kostenplan vom 13.09.2012 auf Zahlung des Eigenanteils zu. Zwar wurde zwischen den Parteien keine wirksame Honorarvereinbarung getroffen. Der der Behandlung zugrunde liegende Heil- und Kostenplan genügte nicht der Form des§ 2 Abs. 3 Satz 1 GOZ und war deshalb nach§ 125Satz 1 i.V.m.§ 126 Abs. 2 Satz 1 BGBnichtig. Die Berufung der Patientin auf die Formunwirksamkeit des Heil- und Kostenplans verstößt jedoch gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).

"Der Formmangel eines Rechtsgeschäfts ist nur ausnahmsweise wegen unzulässiger Rechtsausübung unbeachtlich. Formvorschriften dürfen im Interesse der Rechtssicherheit nicht aus bloßen Billigkeitserwägungen außer Acht gelassen werden. Ausnahmen sind deshalb nur zulässig, wenn es nach den Beziehungen der Parteien und den gesamten Umständen mit Treu und Glauben unvereinbar wäre, das Rechtsgeschäft am Formmangel scheitern zu lassen. Dabei sind aber strenge Maßstäbe anzulegen. Das Ergebnis darf die betroffene Partei nicht bloß hart treffen, sondern es muss schlechthin untragbar sein (z.B. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2015 - IX ZR 100/13, NJW 2016, 1391 Rn. 15 mwN). Von der Rechtsprechung sind bislang insbesondere zwei Fallgruppen als Ausnahmen anerkannt worden: die Fälle der - hier nicht vorliegenden - Existenzgefährdung des einen Teils und die Fälle einer besonders schweren Treuepflichtverletzung des anderen Teils. Eine besonders schwere Treuepflichtverletzung kommt regelmäßig dann in Betracht, wenn eine Partei in schwerwiegender Weise gegen das Verbot des venire contra factum proprium verstoßen hat, etwa dadurch, dass sie die Erfüllung der von ihr übernommenen Verpflichtung verweigert, nachdem sie über längere Zeit die Vorteile aus der formunwirksamen Vereinbarung in Anspruch genommen hat (BGH, Urteile vom 14. Juni 1996 aaO und vom 16. Juli 2004 aaO; MüKoBGB/Einsele aaO Rn. 60; Palandt/Ellenberger aaO Rn. 30, 33).

Diese strengen Kriterien für die Annahme eines Verstoßes gegen Treu und Glauben durch die Berufung der Beklagten auf die Formnichtigkeit des Heil- und Kostenplans sind hier erfüllt. Die Voraussetzungen einer besonders schweren Treuepflichtpflichtverletzung liegen vor. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts, von denen auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, hat sich die über die geplanten Leistungen und die voraussichtlich entstehenden Kosten umfassend aufgeklärte Beklagte bewusst für die teurere Behandlungsalternative entschieden. Dementsprechend hat sie allein den einen erheblichen Eigenanteil ausweisenden Heil- und Kostenplan bei ihrer Krankenversicherung eingereicht und nach Genehmigung in der Praxis der Klägerin vorgelegt, um auf dieser Basis die zahnprothetische Versorgung vornehmen zu lassen. Erstmals nach Abschluss der Behandlung, nachdem die Beklagte sämtliche Vorteile aus der zahnärztlichen Versorgung gemäß dem Heil- und Kostenplan in Anspruch genommen hatte, hat sie sich auf die Nichteinhaltung der Schriftform berufen. Es kommt hinzu, dass das Unterschriftserfordernis aus dem ausgehändigten Heil- und Kostenplan klar ersichtlich ist und die aus Albanien stammende, jedoch seit 1994 in Deutschland lebende Beklagte die erbetene Unterschriftsleistung lediglich deshalb (zunächst) zurückgestellt hatte, weil sie den - ihr bereits verständlich erläuterten - Heil- und Kostenplan (angeblich) nochmals übersetzen lassen wollte. Nach alledem ist das Verhalten der Beklagten als in hohem Maße widersprüchlich und treuwidrig zu werten, so dass sie sich auf den mit der Formvorschrift des § 2 Abs. 3 GOZ verfolgten Zweck (Schutz des Patienten vor einer übereilten Bindung, Information des Zahlungspflichtigen über die geplanten Leistungen und die voraussichtlich entstehenden Kosten) und die Formnichtigkeit der Vergütungsvereinbarung nicht berufen kann (zum Schutzzweck der Formvorschriften des § 2 Abs. 2, 3 GOZ siehe die Begründung zur Ersten Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Zahnärzte, BR-Drucks. 566/11 S. 42 f; Spickhoff aaO § 2 GOZ Rn. 8, 20)."


Fundstelle: BGH, Urt. v. 03.11.2016 - III ZR 286/15