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Beiträge und Entscheidungen/ Medizinrecht

Vergütung fachfremder Leistungen einer ermächtigten Krankenhausärztin bei wissentlicher Duldung der KV über längere Zeit

Ebenso wie Vertragsärzte dürfen auch ermächtigte Krankenhausärzte nicht in ihr Fachgebiet fallende Leistungen grundsätzlich nicht abrechnen.

Soweit entsprechende Fehlabrechnungen im Rahmen quartalsgleicher sachlich-rechnerischer Richtigstellungen geprüft werden, wirken hier Vertrauensschutzgesichtspunkte zugunsten des Vertragsarztes in den Fällen, in denen die Kassenärztliche Vereinigung in Kenntnis aller Umstände längere Zeit die Erbringung bestimmter Leistungen geduldet hat, später jedoch deren Fachfremdheit für den betroffenen Vertragsarzt feststellt oder auf das Fehlen einer Abrechnungsgenehmigung verweist und diese Leistungen deshalb insgesamt von einer Vergütung ausschließt. Dies setzt eine wissentliche Duldung der unberechtigten Leistungserbringung und deren Vergütung über längere Zeit voraus. Eine länger andauernde Verwaltungspraxis allein ist nicht ausreichend.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Zwischen den Parteien war die Absetzung von insgesamt 13 Behandlungsfällen im Quartal 2/2014 streitig. Die Klägerin ist Kinder- und Jugendärztin mit Schwerpunkt Neuropädiatrie. In diesem Bereich verfügt sie über eine Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung. Nach Durchführung einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung forderte die KVB die Vergütung für die Behandlungen von Patienteb zurück, die zur fraglichen Zeit 18 oder älter waren. Diese seien von der Ermächtigung nicht mehr gedeckt.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren legte die Klägerin Klage beim Sozialgericht München ein. Sie führte an, im Interesse und auf ausdrücklichen Wunsch der Patienten nur in Ausnahmefällen und mangels anderer Behandlungsmöglichkeiten gehandelt zu haben. Es handele sich um Patienten mit schweren Mehrfachbehinderungen, deren Entwicklungsstand dem eines Kleinkindes entsprach und die auf spezialisierte ambulante Versorgung – häufig dringend – angewiesen waren. Eine sachfremde Tätigkeit liege daher nicht vor, sodass sie Anspruch auf Vergütung habe.

Das Sozialgericht stellte zwar fest, dass es sich bei den erbrachten Leistungen um sog. fachfremde Leistungen handelt, für die nach der Rspr. des BSG grds. keine Vergütung beansprucht werden kann. Dies gilt auch für ermächtigte Krankenhausärzte. Maßgeblich für die Bestimmung des Fachbereiches der Klägerin waren daher die Bestimmungen der Bayerischen WeiterbildungsO. Demnach sind Erwachsene (18 Jahre und älter) von der Behandlung durch Ärzte der Kinder- und Jugendmedizin grds. ausgeschlossen.

Der Honoraranspruch der Klägerin war nach Auffassung des Gerichts aber dennoch begründet, da sie sich im vorliegenden Fall auf schützenswertes Vertrauen berufen könne. Die KVB duldete die Erbringung fachfremder Leistungen durch die Klägerin über 9 Quartale lang wissentlich. Zudem lag eine E-Mail der Beklagten aus dem Jahr 2008 vor, in der sie der Klinik der Klägerin eine nicht abschließende Zusammenstellung von Diagnosen übersandte, welche ihrer Ansicht nach eine Behandlung von über 18-Jährigen durch Kinderärzte ausnahmsweise gestatte. Dadurch habe die KVB zurechenbar einen Rechtsschein gesetzt, auf den die Klägerin vertraute und vertrauen durfte. Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung sei deswegen eingeschränkt gewesen, sodass die KV verpflichtet sei, die Leistungen der Ärztin nachzuvergüten.

Anmerkung:

Anhand des Falles wird deutlich, dass starre Altersregelungen zur Bestimmung eines Fachbereiches zu Versorgungssengpässen und -lücken führen können. Dennoch sind Ärzte grds. gehalten, diese bei der Abrechenbarkeit von Leistungen zu berücksichtigen. Auch wenn ein abweichendes Vorgehen wie im vorliegenden Fall sinnvoll und angebracht erscheint, empfiehlt es sich wohl für die behandelnden Ärzte, zuvor Rücksprache mit der jeweiligen KV bzw. Krankenkasse zu halten, sodass eine eventuelle Kostenübernahme bspw. auch im Wege der Direktabrechnung vorab geklärt werden kann.

Alternativ bleibt die Möglichkeit, die jugendlichen Patienten und deren Eltern auf diese Umstände hinzuweisen und sie anzuhalten, möglichst früh einen geeigneten Erwachsenen-Neurologen zu suchen, um einen lückenlosen Wechsel zu ermöglichen.

Letztlich ist es aber dem Gesetzgeber überlassen, die unflexible Ausgestaltung der gesetzlich definierten Fachbereichsgrenzen an tatsächliche Gegebenheiten anzupassen und so für eine angemessenere Behandlung der fraglichen Fälle zu sorgen.

 

Ansprechpartner: Christian Koller, Partner

Fundstelle: SG München, Urt. v. 11.12.2017 – S 28 KA 615/15 = MedR 2018, 627