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Beiträge und Entscheidungen/ Medizinrecht

Vergütungsanspruch des Krankenhauses trotz Behandlung durch „falschen“ Arzt,  SG Aachen, Urteil vom 06.02. 2017 – S 13 KR 262/17

 

  1. Die Rücknahme der ärztlichen Approbation nach § 5 Abs. 1 S. 1 BÄO gilt nur in Bezug auf die Person des Betroffenen und die ihn unmittelbar betreffenden Rechtsverhältnisse rückwirkend. Auf die Rechtsbeziehungen zwischen Dritten wirkt sich die Rücknahme der Approbation nur für die Zukunft aus.

  2. Es ist mit dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden nicht oder nur schwer in Einklang zu bringen, wenn eine Krankenkasse aufgrund durchgeführter Behandlungen von der gegenüber ihren Versicherten bestehenden Sachleistungsverpflichtung frei wird, ohne dass sie dies etwas kostet.

 

Sachverhalt: Streitgegenstand war die Erstattung gezahlter Krankenhausvergütung in Höhe von 325.445,07 EUR aus 38 Behandlungsfällen.

Das beklagte Krankenhaus beschäftigte vom 19.10.2009 bis 06.11.2015 Herrn P als Arzt. Die Bezirksregierung Köln hatte diesem auf Antrag und nach Prüfung der eingereichten Unterlagen durch Bescheid und Urkunde die Approbation erteilt. Das Beschäftigungsverhältnis zwischen P und der Bekl. endete nach fristloser Kündigung, nachdem sich herausgestellt hatte, dass P für die Approbation erforderliche Unterlagen gefälscht hatte. Mit der erschlichenen, aber echten Approbationsurkunde bewarb sich P bei der Bekl., die ihn als Arzt einstellte. Während seiner Tätigkeit kam es zu 336 operativen Eingriffen an Patienten, bei denen P als erster Operateur beteiligt war. Aufgrund der Eingriffe wurde P wegen Körperverletzung in 336 Fällen und wegen Urkundenfälschung verurteilt. Zuvor hatte die Bezirksregierung durch bestandskräftigen Bescheid vom 06.11.2015 die Approbation zurückgenommen.

Die Beklagte wurde erstmals am 27.10.2016 mit der Forderung auf Rückerstattung für unter Ps Beteiligung erfolgte Behandlungen konfrontiert, lehnte aber eine Rückzahlung ab. Daraufhin erhob die betroffene Gesetzliche Krankenversicherung Klage auf Zahlung von € 325.445,07. Die Forderung resultiert aus der von ihr gezahlten Vergütung für die Krankenhausbehandlung von 38 ihrer Versicherten, von denen eine im Jahre 2010, zehn im Jahre 2011 durchgeführt und abgerechnet worden sind.

 

Entscheidung des Gerichts: Das SG Aachen wies die Klage als zulässig, aber unbegründet zurück. Es bestehe weder ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch, noch ein Schadensersatzanspruch der Kl. auf Rückzahlung der Vergütung. Zudem wären die behaupteten Ansprüche teilweise verjährt.

Die streitbefangene Vergütung sei insbesondere nicht ohne Rechtsgrund bezahlt worden, was Voraussetzung für den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ist.

Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses werde nicht allein durch die Tätigkeit und die Leistung eines Arztes begründet, sondern erst aus dem Zusammenwirken einer Vielzahl anderer Komponenten. Durch den Wegfall einer einzelnen Komponente (hier durch die Beteiligung eines „falschen Artzes“) könne weder die gesamte Vertragsgrundlage unwirksam oder nichtig werden noch der Vergütungsanspruch in Gänze entfallen.

Darüber hinaus fehle es aber für die Vergütungsansprüche der Bekl. auch in Bezug auf die Person und das Tätigwerden des P nicht an der gem. §§ 39 Abs. 1 S. 3, 28 Abs. 1 S. 1 SGB V eine Krankenhausbehandlung mit bestimmenden "ärztlichen Behandlung" durch die "Tätigkeit eines Arztes". Denn P sei während seiner Beschäftigung bei der Bekl. "Arzt" im Sinne der gesetzlichen und vertraglichen Vergütungsgrundlagen gewesen. Daran habe auch die Rücknahme der Approbation gem. § 5 Abs. 1 S. 1 BÄO nichts geändert.

Die h. M. der Literatur, nach der die Rücknahme gem. § 5 Abs. 1 BÄO die Rechtsstellung als Arzt rückwirkend beseitigt, diene in erster Linie nur dem Schutz derjenigen, die in einem unmittelbaren Rechtsverhältnis zu dem Betroffenen stehen.

Hingegen gelte dies nach dem Telos der Vorschrift nicht auch zwingend für Rechtsbeziehungen zwischen Dritten, wie hier Krankenkasse und Krankenhaus. Rein tatsächlich betrachtet habe P ärztliche Leistungen als approbierter Arzt erbracht. Diese waren weder von Patienten noch der Bekl. oder der Kl. in qualitativer Hinsicht beanstandet worden. Durch die Krankenhausbehandlung der Versicherten einschließlich der Tätigkeiten des P habe die Kl. den ihr gegenüber bestandenen Sachleistungsanspruch ihrer Versicherten erfüllt und sei von der entsprechenden Sachleistungsverpflichtung frei geworden. Die Rücknahme der Approbation ändere an dieser Tatsache nichts. In diesem Verhältnis wirke sich die Rücknahme nur ex nunc aus, sodass die Leistung der Bekl. ordnungsgemäß erbracht und die Vergütung nicht rechtsgrundlos bezahlt worden sei.

Unabhängig davon stünde § 814 BGB eine Erstattungsanspruch entgegen. Die Leistung der Kl. habe einer „auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht“ entsprochen. Wäre die Bekl. nämlich zur Rückzahlung verpflichtet, würde die Kl. von ihrer Sachleistungspflicht gegenüber den Versicherten frei ohne hierfür ihrerseits eine Gegenleistung an die Bekl. erbringen zu müssen.

Ein Schadensersatzanspruch besteht nach dem SG Aachen ebenfalls nicht. Die Bekl. selbst hat weder eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis zur Kl. schuldhaft verletzt noch vorsätzlich oder fahrlässig geschützte Rechte der Kl. verletzt. Sie habe bei der Einstellung des P die erforderliche Sorgfalt gewahrt. Die Vorlage der echten Approbationsurkunde sei ausreichend, zumal es nicht die Pflicht der Bekl. sei, die Voraussetzungen für die Erteilung der Approbation zu überprüfen. Dies obliege allein dem Bezirksamt. Wenn dort die zuständige Behörde nicht erkannt habe, dass die für die Erteilung der Approbation notwendige Urkunden gefälscht waren, könne der Bekl. nicht der Vorwurf gemacht werden, sie hätte ihrerseits die Fälschungen erkennen können oder müssen.

Das schuldhafte und widerrechtliche Verhalten des P müsse sich die Bekl. zwar grds. gem. § 278 bzw. § 831 BGB zurechnen lassen. Daraus sei der Kl. aber kein in der geltend gemachten Vergütungsrückforderung begründeter und messbarer Schaden entstanden ist. Die Leistung der Bekl. einschließlich der Tätigkeit des P im Verhältnis zur Kl. gemäß den gesetzlichen und vertraglichen Grundlagen erbracht, die dafür gezahlte Vergütung von der Klägerin dementsprechend mit rechtlichem Grund gezahlt worden.

Mögliche Erstattungsansprüche für von 2012 abgerechnete Behandlungen seien außerdem verjährt. Der Anspruch auf Erstattung einer zu Unrecht gezahlten Vergütung unterliegt einer vierjährigen Verjährung. In Bezug auf Erstattungsansprüche aus diesen Behandlungsfällen sei mit Ablauf des 31.12.2014 bzw. des 31.12.2015 Verjährung eingetreten. Diese (behaupteten) Erstattungsansprüche sehen sich daher der berechtigten Einrede der Verjährung ausgesetzt. Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung greife nicht, da die Bekl. nicht zu weitergehenden Prüfung der Einstellungsvoraussetzungen verpflichtet gewesen sei.

 

Kommentar: Im vorliegenden Fall war Beantwortung der Frage maßgeblich, ob sich die Rücknahme der Approbation nach § 5 Abs. 1 S. 1 BÄO rückwirkend („ex tunc“) für die Vergangenheit gilt oder lediglich „ex nunc“ für die Zukunft greift.

Dem Wortlaut der Vorschrift lässt sich hierzu nichts entnehmen. Anders als in den §§ 48, 49 VwGO im allgemeinen Verwaltungsrecht wird hier keine Regelung zum Zeitpunkt der Wirkung der Rücknahme getroffen.

Nach einer systematischen Betrachtung lässt sich folgendes feststellen: Der sich anschließende § 5 Abs. 2 BÄO regelt den Widerruf der Approbation. Im Gegensatz zur Rücknahme nach Abs. 1 der Vorschrift betrifft dies den Fall, dass die Voraussetzungen für eine Approbation zunächst vorlagen und erst später weggefallen sind. Ein Widerruf entfaltet Rechtswirkung daher nur für die Zukunft. Auch die sprachliche Differenzierung zwischen Widderruf und Rücknahme legt nahe, dass ein Unterschied bestehen muss. Ob dieser aber gerade auch in der Wirkrichtung der beiden Institute liegen muss, lässt sich dem nicht entnehmen.

Ausschlaggebend ist daher, ob der Sinn und Zweck der Vorschrift dahingehend zu verstehen ist, dass die Rücknahme der Approbation mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen soll.

Nach der h. M. in der Literatur soll das jedenfalls hinsichtlich der den „falschen Arzt“ betreffenden Rechtsverhältnisse gelten. Durch die Rückwirkung wird er so gestellt, als wäre er zu keinem Zeitpunkt Arzt gewesen, so dass er die vollen Konsequenzen seines Fehlverhaltens zu tragen hat.

Im Hinblick auf die Rechtsverhältnisse zwischen Dritten erscheint die Zweckmäßigkeit der Rückwirkung zurecht zweifelhaft. Insbesondere in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Krankenkasse tatsächlich von ihrer Verpflichtung gegenüber den Versicherten durch die Krankenhausbehandlung frei wird, das Krankenhaus selbst aber keine Vergütung erhalten soll, weil es einen „falschen“ Arzt beschäftigt hat, was es aber nicht erkennen konnte und musste.

Eine gespaltene Auslegung, wie sie das SG Aachen vornimmt, erscheint daher zunächst nahe liegend.

Im Interesse einer einheitlichen Rechtsauslegung muss man sich aber fragen, ob das SG Aachen nicht einen Schritt zu weit gegangen ist. Nach seinen eigenen Ausführungen wird die zu vergütende Krankenhausbehandlung nicht allen durch die Leistung und das Tätigwerden des Arztes qualifiziert, sondern setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen. Danach ist eine gespaltene Auslegung nicht zwingend erforderlich, um den Vergütungsanspruch des Krankenhauses bei objektiv nicht zu beanstandender Leistung auch bei Beteiligung eines „falschen“ Arztes zu erhalten (und dabei auf der Linie der herrschenden Literaturmeinung zu bleiben).

Der diametrale Gegenentwurf hingegen wäre die Auslegung des Telos der Vorschrift dergestalt, dass die Rücknahme der Approbation nie Rechtswirkung für die Vergangenheit entfaltet. Die Rückwirkung sei zum einen nicht zwingend erforderlich, um die erstrebten zivil- und strafrechtlichen Folgen herbeizuführen. So stellte bspw.  das Verschweigen der erschlichenen Approbation eine unzureichende Aufklärung i. S. d. § 630e Abs. 1 S. 1, sodass die erteilte Einwilligung unwirksam sei und die §§ 223 ff. StGB greifen. Zur Begründung wird zudem auf die Rechtsprechung des BSG rekurriert, nach der statusrelevante Regelungen nur mit Wirkung für die Zukunft getroffen werden können.


Ansprechpartner: Christian Koller, Partner

Fundstelle: Sozialgericht Aachen , Urteil vom 06.02.2017 - S 13 KR 262/17
veröffentlicht unter MedR 2018, 723