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Beiträge und Entscheidungen/ Medizinrecht

Der Grundsatz des § 275 Abs. 1c S.1 SGB V (zeitnahe Prüfung der Krankenhausabrechnung) enthält keine eigenständige Sanktion (BSG, Urteil vom 13.11.2012)

Das BSG hat in einer mit Spannung erwarteten Entscheidung die Frage beantwortet, ob der Grundsatz der zeitnahen Prüfung der Schlussrechnung eines Krankenhauses auch umfasst, ob die Prüfung zeitnah (und in welchem Zeitrahmen) abgeschlossen werden muss. Anders als das Bayerische LSG (Berufungsinstanz) weist das BSG dem Grundsatz des § 275 Abs. 1c S.1 SGB V allerdings keine eigenständige Sanktionsmöglichkeit zu.


Ansprechpartner: Christian Koller, PartnerDr. Frank Zentz, LL.M. (Emory)
Das beklagte Krankenhaus behandelte den bei der klagenden Krankenkasse Versicherten vom 23.04.2007 bis zum 03.05.2007 stationär und nahm ihn am 04.05.2007 erneut stationär auf. Die Krankenkasse bezahlte an das Krankenhaus den Betrag der Schlussrechnung vom 24.05.2007, behielt sich aber eine Rückforderung nach Rechnungsprüfung vor und erteilte dem beigeladenen MDK mit Schreiben vom 05.06.2007 einen Prüfauftrag. Der MDK zeigte den Prüfauftrag dem Krankenhaus mit Schreiben vom 15.06.2007 an, blieb jedoch ansonsten untätig.

Mit Schreiben vom 04.02.2008 teilte das Krankenhaus der Krankenkasse mit, die Frist für eine zeitnahe Prüfung sei verstrichen.

Die Krankenkasse hat am 03.03.2008 Klage auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen vom Krankenhaus an den MDK und auf Zahlung eines unbezifferten Erstattungsbetrags erhoben. Das SG hat die Zahlungsklage von der Herausgabeklage getrennt und den Beklagten verurteilt, die Unterlagen über die stationäre Behandlung des Versicherten vom 23.04.2007 bis zum 03.05.2007 an den Beigeladenen herauszugeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Revision der Krankenkasse hat Erfolg. Das BSG hebt das Berufungsurteil auf und weist die Berufung des Krankenhauses gegen das Urteil des SG zurück.

Aus den Gründen:

„(…) In Bezug auf die Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V ordnet § 275 Abs 1c S 1 SGB V an, dass eine Prüfung nach Abs 1 Nr 1 zeitnah durchzuführen ist. Dieses wird in Abs 1c S 2 dahin präzisiert, dass eine Prüfung spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der KK einzuleiten und durch den MDK dem Krankenhaus anzuzeigen ist (…).

Die Klägerin erteilte auch innerhalb der sechswöchigen Ausschlussfrist des § 275 Abs 1c S 2 SGB V (…) dem Beigeladenen den Prüfauftrag. (…).

Die Klägerin muss sich zwar das Verhalten des Beigeladenen im Rahmen der Anzeige der Erteilung von Prüfaufträgen nach § 275 Abs 1 bis 3 SGB V zurechnen lassen (dazu aa). Die Klägerin hat aber weder das kompensatorische (dazu bb) noch das prüfrechtliche Beschleunigungsgebot (dazu cc) verletzt. Auch ist der Auskunftsanspruch weder verwirkt (dazu dd) noch einer sonstigen Einwendung ausgesetzt (dazu ee). Der Beklagte kann nicht der Klägerin entgegenhalten, dass jedenfalls wegen Ablaufs von vier Jahren seit Zugang der Rechnung ein Prüfverfahren ausgeschlossen sei (dazu ff). Es greift schließlich keine vertragliche Ausschlussfrist ein (dazu gg).

aa) Grundsätzlich kann ein Krankenhaus eine durch den MDK verursachte Versäumung der Frist des § 275 Abs 1c S 2 SGB V der KK entgegenhalten. Zeigt der MDK die Einleitung der Prüfung dem Krankenhaus nicht oder nicht rechtzeitig nach § 275 Abs 1c S 2 SGB V an, bewirkt dies - nachgelagert - ein sich auch auf das Gerichtsverfahren erstreckendes Beweisverwertungsverbot (…). Krankenhäuser können sich danach gegenüber KKn auf das Unterlassen oder die Verspätung der Prüfanzeige als rechtserhebliche Mängel des Prüfverfahrens nach § 275 Abs 1 Nr 1 und Abs 1c SGB V berufen, obwohl sie der Sphäre des MDK zuzurechnen sind. (…)

cc) Der Beklagte kann auch keinen Einwand aus einem angeblichen Verstoß des Beigeladenen gegen das "prüfrechtliche Beschleunigungsgebot" der Vorgaben des § 275 Abs 1c SGB V für sich ableiten, obwohl der Beigeladene bis zum 4.2.2008 (Datum des Schreibens des Beklagten, dass der Überprüfungsanspruch verfristet sei) noch keine Prüfung der Abrechnung anhand der Krankenhausunterlagen vorgenommen hatte. § 275 Abs 1c SGB V konkretisiert seit 1.4.2007 die allgemeinen Anforderungen von Treu und Glauben, nach denen Krankenhaus und KKn angesichts ihrer auf Dauer angelegten Rechtsbeziehung gehalten sind, so zügig zu kooperieren, dass es nicht zu treuwidrigen Verzögerungen kommt. Die Bestimmung regelt abschließend die sozialrechtlichen Sanktionen bei Verstößen. Das entspricht dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung unter Berücksichtigung des Regelungssystems. Wie oben dargelegt ordnet § 275 Abs 1c S 1 SGB V in Bezug auf die Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V an, dass eine Prüfung nach Abs 1 Nr 1 "zeitnah" durchzuführen ist. Dieses wird in Abs 1c S 2 dahin präzisiert, dass eine Prüfung spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der KK einzuleiten und durch den MDK dem Krankenhaus anzuzeigen ist (…). Die Regelung schneidet den KKn - über das unter aa) umrissene Auskunfts- und Beweisverwertungsverbot hinaus - keine weiteren Rechte ab, mit Hilfe des MDK Abrechnungen von Krankenhäusern zu überprüfen. (…)

Die Regelung des § 275 Abs 1c SGB V begründet keine gesetzliche Ausschlussregelung jenseits der sechswöchigen Ausschlussfrist des § 275 Abs 1c S 2 SGB V. Namentlich aus § 275 Abs 1c S 1 SGB V und dem dort geregelten Erfordernis der zeitnahen Prüfung kann eine Ausschlussfrist nicht abgeleitet werden. (…)

dd) Die abschließende, abgestufte Regelungskonzeption des § 275 Abs 1c SGB V, lediglich die kurze Frist des Satzes 2 zu sanktionieren, bei im Anschluss an gezielte Abrechnungsprüfungen (zu dieser Grundvoraussetzung auch bei Vorliegen einer Rechnung vgl BSGE 106, 214 = SozR 4-2500 § 275 Nr 3, RdNr 13) nicht erfolgten Abrechnungskürzungen zu einer pauschalen Aufwandspauschale zu gelangen (vgl § 275 Abs 1c S 3 SGB V) und nach erfolgter rechtskonformer Einleitung der Prüfung die Verjährungsfrist als Zeitgrenze eingreifen zu lassen, eröffnet keinen Raum für die Krankenhäuser, sich etwa wegen zögerlicher Prüfbearbeitung des MDK auf Verwirkung zu berufen. (…)

ff) Der Beklagte kann eine angebliche Säumigkeit des Beigeladenen dem Anspruch der Klägerin auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen an den Beigeladenen auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Verjährung der Erstattungsforderung entgegenhalten. Die Klägerin hat nämlich vor Eintritt der Verjährung Klage erhoben. (…)“

Das BSG führt in seiner Entscheidung aus, dass § 275 Abs. 1c SGB V abschließend die sozialrechtlichen Sanktionen bei Verstößen gegen das prüfrechtliche Beschleunigungsgebot regele. § 275 Abs. 1c Satz 1 SGB V entnimmt das BSG keinen eigenen Sanktionscharakter. Eine Sanktion bei einem Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot, nämlich ein Auskunfts- und Beweisverwertungsverbot, enthalte ausschließlich § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V. Der Gesetzgeber habe – im Gegensatz zu Satz 2 – in § 275 Abs. 1c Satz 1 SGB V bewusst keine Ausschlussfrist vorgesehen.

Für die Praxis ist daher zu beachten, dass als Zeitgrenze für den zeitnahen Abschluss einer Rechnungsprüfung durch den MDK nur die vierjährige Verjährungsfrist herangezogen werden kann – vorausgesetzt, der MDK hat den Prüfauftrag innerhalb der Sechs-Wochen-Frist des § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V dem Krankenhaus angezeigt. Da nach der Entscheidung des BSG § 275 Abs. 1c Satz 1 SGB V keine eigenständige Einwendung beinhaltet, besteht für Krankenhäuser im Ergebnis auch keine Möglichkeit, sich wegen zögerlicher Prüfbearbeitung des MDK auf Verwirkung oder auf sonstige auf Treu und Glauben gestützte Einwendungen zu berufen.


Fundstelle: BSG v. 13.11.2012 - B 1 KR 24/11 R