Menu

Beiträge und Entscheidungen/ Medizinrecht

Persönliche Verpflichtung des Wahlarztes zur Durchführung der vereinbarten Operation (BGH, Urteil vom 19.7.2016 – VI ZR 75/15).

Der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens, der darauf zielt, der Patient sei mit der Vornahme des Eingriffs durch einen anderen Operateur einverstanden gewesen, ist nicht erheblich, weil dies dem Schutzzweck des Einwilligungserfordernisses bei ärztlichen Eingriffen widerspricht.


Ansprechpartner: Christian Koller, Partner

Nach Abschluss einer Wahlleistungsvereinbarung für Chefarztbehandlung wurde ein Patient von dessen – nicht liquidationsberechtigtem – Stellvertreter operiert. Postoperativ stellten sich erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen ein.
Das Landgericht sah die Widerrechtlichkeit des Eingriffs, wies die Klage des Patienten auf Schadenersatz und Schmerzensgeld allerdings mangels ersatzpflichtigen Schadens ab. Der Eingriff wäre in seiner konkreten Ausführung nicht anders verlaufen, wenn ihn der Chefarzt persönlich vorgenommen hätte (rechtmäßiges Alternativverhalten). Das Oberlandesgericht wies dessen Berufung zurück. Die vom BGH zugelassene Revision hatte Erfolg und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
"Nach den Feststellungen des BerGer. ist die … Operation ohne die erforderliche Einwilligung des Kl. erfolgt. Zu Recht macht die Revision geltend, dass für den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens, der darauf zielt, ein anderer Operateur hätte den Eingriff rechtmäßig vornehmen dürfen, im vorliegenden Fall kein Raum ist. Die Berufung des Schädigers auf rechtmäßiges Alternativverhalten, das heißt der Einwand, der Schaden wäre auch bei einer ebenfalls möglichen, rechtmäßigen Verhaltensweise entstanden, kann nach der Rechtsprechung des BGH für die Zurechnung eines Schadenserfolgs beachtlich sein. Dabei muss der Schutzzweck der jeweils verletzten Norm darüber entscheiden, ob und inwieweit der Einwand im Einzelfall erheblich ist. Hier ist den Bekl. der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens verwehrt, weil dies dem Schutzzweck des Einwilligungserfordernisses bei ärztlichen Eingriffen (§ 823 I BGB) widerspricht. Von jeher leitet die Rechtsprechung das Erfordernis der Einwilligung des Patienten in die Heilbehandlung zur Rechtfertigung des Eingriffs in die körperliche Integrität aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II GG) und seinem Selbstbestimmungsrecht als Ausfluss des Rechts auf Menschenwürde (Art. 1 GG) her. Geschützt wird damit die Entscheidungsfreiheit des Patienten über seine körperliche Integrität, über die sich der Arzt nicht selbstherrlich hinwegsetzen darf. Die Einwilligung in den ärztlichen Heileingriff bedeutet nämlich in dem durch sie gezogenen Rahmen einen Verzicht auf den absoluten Schutz des Körpers vor Verletzungen, die mit dem Eingriff verbunden sind, darüber hinaus das Aufsichnehmen von Gefahren, die sich aus Nebenwirkungen der Behandlung und möglichen Komplikationen ergeben. In diesem Sinn muss die Frage einer Beeinträchtigung von Körper und Gesundheit durch den Arzt weitgehend aus der Sicht des Patienten abgegrenzt werden, weil es um die Selbstbestimmung geht, wenn er diese seine Rechtsgüter im Verlauf einer ärztlichen Behandlung und in deren Rahmen zur Disposition stellt.
Daraus leiten sich Verhaltenspflichten des Arztes ab, die ihn nicht nur zur Sorgfalt bei der Behandlung des Patienten verpflichten, sondern auch dazu, sich dessen Einwilligung in diese Maßnahmen zu versichern. Erklärt der Patient in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts, er wolle sich nur von einem bestimmten Arzt operieren lassen, darf ein anderer Arzt den Eingriff nicht vornehmen. Ist ein Eingriff durch einen bestimmten Arzt, regelmäßig den Chefarzt, vereinbart oder konkret zugesagt, muss der Patient rechtzeitig aufgeklärt werden, wenn ein anderer Arzt an seine Stelle treten soll. Fehlt die wirksame Einwilligung in die Vornahme des Eingriffs, ist der in der ärztlichen Heilbehandlung liegende Eingriff in die körperliche Integrität rechtswidrig.
Vor diesem Hintergrund kann sich der Arzt, der ohne eine auf seine Person bezogene Einwilligung des Patienten operiert hat, nicht darauf berufen, dass der Patient mit der Vornahme des Eingriffs durch einen anderen – zumal besser qualifizierten – Operateur einverstanden gewesen sei. Könnte er sich mit diesem Einwand einer Haftung entziehen, bliebe der rechtswidrige Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten sanktionslos. Dem steht nicht entgegen, dass eine Haftung aus der (bloßen) Verletzung der Aufklärungspflicht ohne einen von dem Arzt verursachten Gesundheitsschaden nicht angenommen werden kann. Denn im Streitfall hat schon der Eingriff selbst zu einer Verletzung der körperlichen Integrität des Kl. geführt. Zudem ist sein Vertrauen, das er in die oben genannten Verhaltenspflichten der Bekl. gesetzt hat, enttäuscht worden.
Es kann die Bekl. nicht entlasten, dass die Operation (möglicherweise) bei einem durch den Bekl. zu 1 durchgeführten Eingriff die (genau) gleichen Folgen gehabt hätte. Sonst wäre das Vertrauen nicht wirksam geschützt, das Patienten in die ärztliche Zuverlässigkeit und Integrität setzen müssen, wenn sie ihre absolut geschützten Rechtsgüter im Verlaufe einer ärztlichen Behandlung zur Disposition stellen. Diesem Ergebnis entspricht, wovon das BerGer. auch zutreffend ausgeht, dass die Voraussetzungen für eine hypothetische Einwilligung nur dann vorliegen, wenn der Patient eine wirksame Zustimmung zu dem konkreten, gerade durch den operierenden Arzt vorgenommenen Eingriff erteilt hätte.
Im vorliegenden Fall tritt ferner hinzu, dass der Kl. ausweislich der mit der Bekl. zu 3 geschlossenen Wahlleistungsvereinbarung nur unter der Voraussetzung einer Behandlung durch den Chefarzt zur Einwilligung bereit war, § 823 I BGB. Der Patient schließt einen solchen Vertrag im Vertrauen auf die besonderen Erfahrungen und die herausgehobene medizinische Kompetenz des von ihm ausgewählten Arztes, die er sich in Sorge um seine Gesundheit gegen Entrichtung eines zusätzlichen Honorars für die Heilbehandlung sichern will. Demzufolge muss der Wahlarzt die seine Disziplin prägende Kernleistung persönlich und eigenhändig erbringen. Insbesondere muss der als Wahlarzt verpflichtete Chirurg die geschuldete Operation grundsätzlich selbst durchführen, sofern er mit dem Patienten nicht eine Ausführung seiner Kernleistung durch einen Stellvertreter wirksam vereinbart hat. Vor diesem Hintergrund ist im Streitfall zudem das Vertrauen des Kl., das dieser in die mit der Bekl. zu 3 geschlossene Wahlleistungsvereinbarung und damit auch in die besonderen Erfahrungen und die herausgehobene medizinische Kompetenz des Bekl. zu 1 gesetzt hat, enttäuscht worden."


Fundstelle:

NJW 2016, 3523; BeckRS 2016, 14551; JuS 2016, 1030; LSK 2016, 14551; VersR 2016, 1191